Verwaltung verlangt nach Vorgaben für das Vorgehen und Umgehen mit dem zu Verwaltenden: uns. Ohne eindeutige Vorgaben scheitert dieser Umgang und stagniert das Vorgehen. So gibt es Vorgänge, die Jahrgänge hindurch Stapel bilden, deren Existenz möglicherweise sogar eine Versicherung des Fortgangs des Altbewährten gewährt, für den, der verwaltet. Der verwaltete Mensch aber findet sich in einer Ödnis des Wartens wieder, die sich Beckett nicht hätte besser ausdenken können und die gleich der Wüste Nietzsches wächst. Früher oder später aber erblickt jeder Wüstenversetzte einen Hoffnungsschimmer. In unserem Fall erspäht der Mensch die Digitalisierung.
Ein Gastbeitrag von David Mews
Heute bedeutet Funktionieren Schnelligkeit und Schnelligkeit bedeutet Stabilität. Verwaltung bedeutete Stabilität, als Schnelligkeit noch Übereilung hieß und mit der Erfahrung untrennbar verbunden war, dass Eile unvermeidliche Nähe zu Missgeschicken und Fehlern besitzt. Geschwindigkeit ist das Maß für die Bewertung von Stabilität geworden. Und Stabilität bleibt der Garant für die Bürgerruhe im Staat. Der immer schneller sich bewegende Mensch erfordert daher auch eine immer schneller arbeitende Verwaltung.
Verwaltet die Verwaltung in unangepasstem Tempo, dann entsteht das Umkehrbild, dass sie den emsigen Menschen von heute überhaupt nicht mehr verwaltet – sie wartet früher oder später auf das zu Verwaltende. Ein Lapsus, der leicht übersehen werden kann. Doch wie jede Lücke sofort eine sie füllende Neuplatzierung erhält, so findet auch das ‚gap‘ der hinkenden Verwaltung eine Deplatzierung und einen Kontrahenten: Dateninhaber, Unternehmen und Algorithmen, die mit der Geschwindigkeit der Moderne mithalten, werden fleißig und freiwillig vom Menschen mit zu verwaltenden Informationen ausgestattet.
Eine Schar von Staatssatelliten im Staat?
Die Digitalisierung der deutschen öffentlichen Verwaltung ist in (vollem) Gang. Ein Grund zur Annahme einer erfolgreichen Stabilisierung? Anzunehmen ist, dass dies von Beteiligten geglaubt wird. Dies hängt mit dem Vertrauen in altbekannte Strukturen zusammen, mit der mentalen Einstellung einer Verwaltung. Zu befürchten ist aber das Gegenteil: der zunächst nicht aufgedeckte und aus “dem Inneren der Flasche” nicht leicht erkennbare Abbau und Verlust an Stabilität. Man kann zwar nicht behaupten, dass die digitale Transformation in der öffentlichen Verwaltung mit Übereile von Statten geht. Hier liegt möglicherweise auch ein Grund für das eigentliche Mentalpaket: das geistige Gepäck des Ausharrens. Andererseits ist es ebenso verkehrt zu glauben, dass die Langsamkeit der anlaufenden Digitalisierung ungefährliche Prozessevolution bedeutet.
Tatsächlich sehen wir eine Aufbauemsigkeit, die in ihrer von Erfolgsmeldungen gefärbten Geschwindigkeit des Wachstums der realen Digitalität des Prinzips Verwaltung keineswegs entspricht. Prozesse, die aufbauen, ohne zu wissen, was sie selbst sind, wo sie selbst sind und ohne die Vorausschickung eines ursächlich notwendigen Umbaus der Systeme für die Existenz eines geeigneten Baugrundes des geplanten Aufbaus, scheitern und scheitern nicht nur, sondern beschädigen zugleich den Bestand auf eine Weise, dass eine Brache entsteht, die erst lange wieder fruchtbar gemacht werden müsste, wofür dann aber meist keine Zeit mehr ist.
Die wesentlichen Parameter
Erneuerungen werden immer noch der Struktur der öffentlichen Verwaltung ausgesetzt und nicht umgekehrt. Das Zukunftsweisende der Digitalisierung ist eine Genese eines Denkens im Digitalen, nicht die Abbildung des Bisherigen. Darum muss die öffentliche Verwaltung digitalisiert werden. Entscheidend könnte jetzt die Antwort auf die Frage sein, was eine wirkliche Modernisierung ist? Was heißt Moderne?
Digitalisierung als Modernisierung ist noch die Verhinderung einer Modernisierung. Einfach zu erkennen ist das daran, dass es zwei Tempi gibt, die nicht harmonisch aufeinander aufbauen, sondern gleichzeitig anzutreffen sind. Die Digitalisierung aus dem Geiste der Verwaltung, wie sie ist und war, eilt. Die Digitalisierung aus einem Verstehen und einem originär innovativen Denken im Digitalen ist nicht einmal gestartet oder unendlich langsam. Letztere ist aber die, die den modernen Menschen erfasst hat und seinen Alltag außerhalb von Amtsgängen begleitet. Dabei ist es zugegebenermaßen nicht leicht, den politischen Interessen schneller, wahlperiodimmanenter Erfolge in Sachen Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung zu begegnen, als Verwaltung.
Es ist nicht leicht, die Gleichzeitigkeit zu bemerken, mit der ein Aufbau geschieht, dem kein geeigneter Umbau vorangegangen ist. Wir leben in der Zeit der Ausklammerung des notwendigen mentalen Umbaus. Immer noch existiert es, das Vertrauen auf die ewige Wiederkehr eines Zustands der Allmählichkeit, wie einer heimlichen Garantie auf eine unerschütterliche Stabilität. Doch kein Weg wird schneller durch den Gang in die falsche Richtung. Letztlich lautet der Begriff des Jahres Verantwortungsmodernisierung. Dieser verlangt aber vorrangig des Umbaus des Strukturdenkens. Ein großer, zeitgemäßer und in planetarischer Strategiementalität angelegter Umschwung der Strukturen der öffentlichen Verwaltung, möglicherweise. Ein Auffinden von positiven Einzelbeispielen, möglicherweise.
Einzelne, manchmal kleine Gruppen, gibt es bereits, die das erkannt haben. Es sind die zu Mut Bereiten, die in der öffentlichen Verwaltung jetzt schon das tun, wozu das System erst noch seine gesamthafte Metamorphose durchlaufen muss und wird: Das Verwalten als Haltung muss sich verändern, wenn der Staat seine Funktion und Stabilität in der eigenen Hand halten will.
Was ist Moderne anderes, als die Verzückung oder das Wagnis einer neuen Haltung?