Am 10. Januar veröffentlichte CORRECTIV eine Recherche über ein Treffen von hochrangigen AfD-Politikern, Neonazis und finanzstarken Unternehmern. Agenda des Treffens war die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland. Erste Reaktionen reichen von Verharmlosung bis hin zu Parteiverboten. Wo stehen wir und was muss sich im Superwahljahr 2024 ändern?
Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt die AfD. Sie war bei dem Treffen vertreten, sie stellt nicht nur im Osten einen Umfrage- und Wahlrekord nach dem anderen auf und sie ist mit den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg so nah an den Trögen der Macht, wie es sich selbst die AfD Funktionäre wohl nur in tiefbraunen Träumen erhofft hatten. Der erste Reflex, der jetzt wieder wahrgenommen wird, ist die Forderung nach einem Partei-Verbot. Sofort und für alle Zeiten scheint das Problem damit gelöst zu sein. Eine Kurzsichtigkeit, die uns überhaupt erst diese Lage beschert hat. Was soll ein Verbot zum jetzigen Zeitpunkt bringen? Menschlich kann ich es absolut nachvollziehen und würde ein Verbot ebenfalls begrüßen. Unter demokratischen Gesichtspunkten, der aktuellen Lage der Republik und der Stärke der AfD wäre ein Verbot allerdings ein weiteres Geschenk aller Verteidiger der Demokratie an die AfD.
Man sehe sich die Präsenz der AfD in den sozialen Medien, die breite Zustimmung in allen Bevölkerungsschichten und Altersstufen und nicht zuletzt die finanzstarken Unterstützer an. Was musste sich Jens Spahn anhören, als er für Spenden in Höhe von 9.999 € den Puppenkasper bei einem Abendessen mimen musste. Die AfD konnte bereits im ersten Halbjahr 2023 eine Einzelspende in Höhe von 265.000 € verbuchen. Auch das erlaubt der Partei, weiter zu wachsen. Und die Demokratie findet weiter kein Mittel, das diese Entwicklung aufhalten kann – bis heute.
Jeder Erklärungsversuch endet immer bei den gleichen Forderungen und Ermahnungen. Dabei wird übersehen, dass die Politik der letzten Jahre z.B. durch die ungeklärte Frage der Migration ebenfalls zu einem Erstarken der AfD beigetragen hat. Dieses Eingestehen der eigenen Verantwortung fehlt leider in der Breite aller Parteien. Es wäre der erste Schritt einer ernst gemeinten Aufarbeitung.
Äußerungen wie „härter durchgreifen“ oder „alle Demokraten müssen jetzt zusammenstehen“ sind so inhaltslos und kurzlebig, dass sie nicht mal im politischen Berlin ernstgenommen werden. Seit Jahren werden sie wiederholt und mit einstudierter Entschlossenheit vorgetragen. Am Ende bleiben diese Äußerungen ebenfalls ein Geschenk für die AfD.
Das Verhalten der politischen Mitstreiter, die wirtschaftlichen Entwicklungen und die Strategie der AfD selbst sorgen für einen wachsenden Rückhalt in der Bevölkerung. Die Partei hat sich ihren jetzigen Erfolg erarbeitet – so bitter es auch ist. Mindestens genau so bitter wird aber auch die Bekämpfung der AfD mit demokratischen Mitteln sein. Das geht nicht bei Lanz, Illner und Co. Das funktioniert auch nicht aus Parteizentralen heraus. Da muss in den sauersten Apfel gebissen und sich vor Ort jeder Situation gestellt werden. Nur so lässt sich kurz- und mittelfristig etwas Boden gut machen, der aus Berlin nur als brauner Sumpf gesehen wird. Wie will man sonst die Leute zurückholen, die genug haben von einer politischen Kultur, die durch moralische Musterlösungen alle Krisen in der Welt lösen möchte, aber es verpasst, die grundlegenden Funktionen im Staat zu gewährleisten? Es sind immer die gleichen Leute, die betroffen in die Kameras schauen, schnelle Taten fordern, ihren eisernen Willen bekräftigen und sich nach zwei Wochen als Experten für die nächste Krise vor die Mikrofone drängen. Und was passiert im Land? Die Preise explodieren. Die Kosten für Lebensmittel, Mieten und Mobilität bringen immer mehr Menschen an ihre Leistungsgrenzen. Es läuft vieles aus dem Ruder. Es gibt unzählige Statistiken, die einen so betroffen machen, dass die natürliche Reaktion eine beschämende Abkehr von der Thematik zur Folge hat. Die Gruppe, die am meisten von Armut in Deutschland bedroht ist, ist die der Erwachsenen mit einem oder mehreren Kindern. Unglaubliche 42,9% gibt das Statistische Bundesamt an. Diese Menschen fühlen sich zu Recht von der Politik im Stich gelassen. Sie haben es satt, immer wieder die gleichen Phrasen zu hören. Und wer kann von diesen Menschen neben Job, Kinderbetreuung und der Organisation des eigenen Lebens verlangen, sich mit der politischen Landschaft auseinanderzusetzen. Da werden Prioritäten gesetzt. Eine Prioritätensetzung dürfen sie auch von der Politik einfordern. Bevor sie sich jedoch auf der Prioritätenliste finden, ist ihnen Mut und Zuversicht längst abhandengekommen.
Genau dort setzt die AfD an und schafft es, zwar mit zum Teil billigsten Mitteln Argumente zu liefern, die Menschen dazu bringen, ihre Positionen zu überdenken – mit Erfolg. Für Alleinerziehende, die Mahnungen ins Haus bekommen, weil sie Rechnungen nicht bezahlen können, sind Ukraine, Israel und Klimaschutz erstmal kein Thema. Das muss es auch nicht. Das ist nicht die Aufgabe der Bürger. Der Alltag gibt die Richtung vor. Wenn dieser von Ablehnung, der allgemeinen schlimmen Stimmung und Überforderung von Seiten der Politik geprägt ist, dann ist klar, dass eine Partei Zuspruch bekommt, die all das in einem Feindbild zusammenfügen kann. „Die da oben“ wird immer mehr zu einem Kampfbegriff, der leider nicht ohne weiteres zu entkräften ist. Da wir ihn schon im Artikel erwähnt haben: Wenn Jens Spahn davon spricht, dass er und sein Ehemann sich bei der Finanzierung eines Millionenobjekts „finanziell strecken“ mussten, dann schaltet auch der letzte „normale“ Bürger ab.
All diese Erklärungen sind seit Jahren bekannt und mir graut es angesichts der Reaktionen auf dieses „Geheimtreffen“ vor dem Superwahljahr 2024. Denn bis dorthin habe ich kaum Zuversicht, dass die Politik es schafft, die Entwicklung aufzuhalten. Genau so wenig bringt meines Erachtens ein Verbot. Allein die Dauer des Verfahrens würde der AfD einen Pluspunkt nach dem anderen bringen. Also was bleibt übrig?
Wir bleiben übrig. Wir müssen es selbst in die Hand nehmen. Wir müssen uns einbringen. Wir müssen das tun, wozu die gewählten Politiker scheinbar nicht im Stande sind. Wir müssen auf unsere Mitmenschen zu gehen. Ins Gespräch kommen. Beim Bäcker, beim Friseur, im Supermarkt, im Kindergarten, in der Schulen – immer und überall. Wir müssen und sollten die Zukunft unseres Landes nicht anhand der Entwicklung der AfD fest machen, sondern an unserer gesamten Gesellschaft. Das „Sommermärchen 2006“, „Du bist Deutschland“, „Wir sind Papst“, „Michael Schumacher ist Weltmeister“ – all diese tollen Momente kommen einem in den Sinn, wenn man an Ereignisse denkt, die von Euphorie, Optimismus und Zufriedenheit geprägt waren. Das scheint alles sehr weit weg. Erst recht an einem kalten, dunklen Januar-Tag. Aber das ist unsere einzige Chance. Wir müssen uns als Gesellschaft wieder die Hand reichen – so banal und lächerlich es auch klingen mag. Wir müssen miteinander reden. Sonst verstärken wir Missverständnisse, Vorurteile und den wohl wieder größer werdenden Graben zwischen Ost und West.
Ich kann natürlich auch verstehen, dass man als Bundespolitiker lokale Treffen, wo einem der politische Gegenwind in Orkanstärke entgegen bläst, meidet. Aber da fällt mir ein wichtiger Satz von meinem alten Chef, Dr. Thomas de Maiziere, Bundesminister a.D., ein: „Wenn diese Leute dann erstmal vor ihnen stehen, dann ist die Sprache auch eine andere.“ Ein Kommentar auf Social Media ist eben keine wirksame Alternative zu einem persönlichen Gespräch. Also: über den eigenen Schatten springen, raus aus der Komfortzone und mit Respekt, Freundlichkeit und Interesse am Gegenüber ins Gespräch gehen. Vom Kanzler bis zum Kommunalpolitiker und von Bürger zu Bürger.
In den USA wird jeder Wahlkampf mit den Worten „The Best Days Are Yet To Come“ geführt. Ein wunderbares Motto, das uns täglich motivieren sollte. Dabei dürfen und sollten wir uns nicht alleine auf die Politik verlassen. Jeder von uns kann einen Unterschied machen. So klein er auch erscheinen mag. Das ist ein langer Weg, aber abnehmen kann uns den keiner. Wenn wir uns besser kennen, die Nöte des anderen verstehen und auch selbst mal etwas geben, dann sehe ich auch für unser Land eine große Zukunft. Eine Zukunft, die dadurch geprägt ist, nicht auszugrenzen und Mauern zu errichten, sondern zu verbinden und gemeinsam neue Ziele zu erreichen. Viele Buzzwords, aber es leuchtet ein. Und dann sind wir auch in der Lage, demokratiefeindliche Kräfte im Zaum zu halten.
Es liegt an uns. Du, ich, unser Nachbar, unsere Kollegen. Lasst uns wehrhaft sein auf eine Art und Weise, wie wir schon einmal eine Mauer überwunden haben und als ein Volk zusammengekommen sind: friedlich, nahbar und von einem unerschütterlichen Optimismus geprägt. Dann wird auch das dunkle Treffen in Potsdam in einigen Jahren als die Zusammenkunft von ein paar rechten Spinnern und Deutschlandhassern als Weckruf für die wehrhaften Demokraten in Erinnerung bleiben. Verbunden mit der Message: Wir sind die Mehrheit!