Ein Ruck-Moment ist unausweichlich

Bayern und Hessen als Scheinwerfer für die nächsten 2 Jahre

Der Tag nach den beiden Landtagswahlen in Bayern und Hessen wird wie gewohnt ablaufen: Die Sieger lassen sich feiern und wischen jede weitere Interpretation des Wahlergebnisses mit dem Hinweis auf ihr starkes Ergebnis vom Tisch, während die Wahlverlierer sich nun wieder zurückziehen, den Wahlkampf analysieren werden, nur um dann wie gewohnt in alter Besetzung weiterzumachen.

Gewohnter Ablauf in gewöhnlichen Zeiten. Doch Deutschland steckt nicht in gewöhnlichen Zeiten. Weder politisch noch wirtschaftlich, und den Erklärungsversuchen einiger Politiker zufolge gesellschaftlich erst recht nicht.

Im Zentrum der Nachlese steht das Ergebnis der aktuellen Regierungsparteien, die in Hessen mehr als zehn Prozent an Zustimmung verloren haben. Mehrheiten sind in weiter Ferne und spiegeln den aktuellen Zustand der Ampel auf Bundesebene wider. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung nimmt weiter zu und persönliche Skandale wie rund um Nancy Faeser tun ihr Übriges. Die Innenministerin erklärte kurz nach den ersten Hochrechnungen, dass es ihr und ihrer Partei nicht gelungen sei, mit den Themen zur Bevölkerung durchzudringen. Sie selbst würde die Verantwortung übernehmen. Fraglich bleibt, welche Konsequenzen, außer die Rückkehr nach Berlin, einer solchen Aussage folgen. Ein weiterer Baustein eines politischen Selbstverständnisses, das bei den Menschen für zunehmende Ablehnung sorgt.

Der Druck auf die Ampel und den Bundeskanzler wächst. Wie umgehen nach einer solchen Niederlage? Selbst wenn Nancy Faeser von sich aus den Platz räumen würde, bleibt die Frage, wer ihr nachfolgen könnte. Parität und Fachkräftemangel in der eigenen Partei sind mehr als nur Sand im Getriebe. Die Ampel wird bei der Bewältigung der aktuellen Krisen und politischen Herausforderungen kaum die Kraft aufbringen können, sich in den nächsten zwei Jahren selbst so zu sanieren, dass Wahldesaster wie in Bayern und Hessen der Vergangenheit angehören. Eher wird es darum gehen, sich zu behaupten, um nach der Legislaturperiode nicht als inhaltsleerer Koalitionspartner dazustehen. Vor allem für die FDP geht es um das nackte politische Überleben. „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“ und Äußerungen wie die Grünen seien ein „Sicherheitsrisiko“ nagen an dem Selbstverständnis und der Glaubwürdigkeit der Liberalen. In der jetzigen Konstellation wird es ihnen kaum gelingen, das letzte Bundestagswahlergebnis zu erreichen. Es droht vielmehr ein erneuter Abgang aus dem Parlament.

Die Ampel befindet sich im Gewitter bestehend aus politischen Herausforderungen, Personaldebatten und der Frage des gesellschaftlichen Klimas.

Der Sieg von Boris Rhein in Hessen hingegen ist Balsam für die Seele der CDU, die zuletzt eher durch die zahnmedizinischen Äußerungen ihres Vorsitzenden aufgefallen ist. Ein ruhiger, optimistischer Landesvater, der ohne Skandale und Ideologie mit den Grünen in fast schon hessischer Tradition regiert. Ein starkes Plus von über 7 Prozent ist jedenfalls nicht auf den Rückenwind aus dem Konrad-Adenauer-Haus zurückzuführen. Es wirkt eher so, als würden die mindestens unglücklichen Äußerungen von Friedrich Merz eine ähnlich überschaubare Strahlkraft besitzen wie das Eigenlob der Ampelparteien. In Bayern geht ebenfalls alles seinen gewohnten Gang. Das für die CSU schlechteste Wahlergebnis seit über 70 Jahren wird einer stabilen Regierungsbildung nicht im Wege stehen und Markus Söder sieht sich in seinem Kurs, seinem Verhalten und seiner Position bestätigt. Für Friedrich Merz ist die Freude über Hessen groß. Für Bayern kann er sich nur kurz freuen, denn Markus Söder wird nun weiter Druck Richtung Berlin ausüben und sich früher oder später mit bayerischer Souveränität an der Frage des Kanzlerkandidaten der Union beteiligen.

Eine Bundesregierung, die nach zwei durchwachsenen Jahren Verluste bei Landtagswahlen einfährt, und eine Opposition, die davon profitiert. So das erste und gewohnte Urteil. Jedoch gibt es bei beiden Wahlen eine Entwicklung, die wohl am stärksten in den kommenden Wahlen sich fortsetzen wird. In Bayern 14,6% und in Hessen sogar 18,4% für die AfD sind eine alarmierende Entwicklung. Gerade vor dem Hintergrund der drei anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im nächsten Jahr. Hier liegt die AfD zum Teil deutlich in Führung. Woran liegt das? Die Bundesregierung hat nach ihrem Wohlfühlstart echte Krisen zu bewältigen und findet sich nun bei der Migrationsdebatte erneut in einem Kompromissmarathon, der nach außen ein Bild von Überforderung, Erschöpfung und fehlender Entschlossenheit zeichnet. Die CDU bringt Vorschläge ein, sucht die Zusammenarbeit und bemüht sich, die Lehren aus 2015 zu ziehen. Diese Bemühungen werden jedoch mit einer verlässlichen Regelmäßigkeit von den Äußerungen ihres Vorsitzenden überschattet. Und die AfD? Sie profitiert von beiden Seiten. Ihr gelingt es, an jedem Vorstoß und jeder Äußerung Kritik zu äußern, die bei den Menschen verfängt. Scheinattentate und kurzfristige Mallorca-Ausflüge zeigen keine negative Wirkung. Die übrigen Parteien sind ratlos und haben neben ihren eigenen Problemen nicht mehr die Kraft, dieser Entwicklung entschieden zu begegnen. Die Floskeln, Aufrufe und Appelle verhallen viel zu schnell und sind nach jahrelanger Wiederholung eher kontraproduktiv. Somit hat die Ampel nun ein weiteres, wachsendes Problem, das schwerer zu lösen sein wird, als die Regierungsstreitigkeiten. Sollte die AfD nächstes Jahr nur annähernd das Ergebnis jetziger Umfragen realisieren können, kann es so für die Ampel nicht weitergehen.

„Whatever it takes“ ist der selbst ausgerufene Maßstab von Olaf Scholz. Doch die hanseatische Gelassenheit wird immer mehr auf die Probe gestellt. Die Leidensgemeinschaft Ampel-Koalition sieht sich bereits zur Halbzeit mit fast leerem Tank einem Bollwerk an Aufgaben gegenüber. Eine klare Vision, wie Deutschland auch nach der nächsten Bundestagswahl aussehen soll gibt es nicht bzw. wird von mindestens einem Koalitionspartner gleich wieder in Frage gestellt. Wie Friedrich Merz und die CDU aus all dem Kapital schlagen will, ist auch noch nicht erkennbar. Genauso wenig erkennbar wie eine einheitliche, abgestimmte Kommunikation der CDU-Führung. Das große Fragezeichen bleibt bei der AfD. Sie wird vermutlich weiter profitieren, weiter zulegen und uns alle vor die Frage stellen, in was für einem Land möchten wir leben und was sind wir bereit, dafür zu tun. Eine gesellschaftliche Mammutaufgabe.

Politisch braucht es ein neuen Ruck-Moment. Die Parallelen zur Rede von Bundespräsident Roman Herzog von 1997 und dem jetzigen Zustand liegen auf der Hand. „Ein Gefühl der Lähmung liegt über unserer Gesellschaft“ ist auch 2023 eine treffende Analyse. Diese Lähmung zu lindern, dem Land neuen Auftrieb zu verschaffen und die Menschen dabei nicht zu verlieren ist der Anspruch an die Politik und all ihrer Akteure. Nach Bayern und Hessen mehr denn je.