Bürokratiemonster Deutschland: Jetzt trifft es die Senioren    

Ein Kommentar von Matthias Schau

Wenn von Bürokratieabbau die Rede ist, denkt man zuerst an Behörden und Firmen, was auch richtig und einleuchtend ist. Merkwürdigerweise wird aber meistens eine Gruppe in der medialen Berichterstattung außer Acht gelassen, ich meine unsere Senioren, die auf eine Bank in ihrer Nähe und persönliche Beratung angewiesen sind. 

Meine Schwiegermutter erfreut sich im Alter von 91 Jahren relativ guter Gesundheit. Sowohl geistig, sie hat vor einigen Jahren den Umgang mit dem iPhone gelernt, wie auch körperlich. Sie ist zwar bei Spaziergängen auf einen Rollator angewiesen, aber sie lebt allein in ihrer Wohnung im ersten Stock und kann sich selbst versorgen. Sie fährt auf den Wochenmarkt zum Einkaufen, zum Supermarkt und auch zu den diversen Arztterminen in Schleswig. Früher auch zur Sparkasse. Die hat aber seit einiger Zeit die Filiale geschlossen, es gibt nur noch einen SB-Bereich mit Kontoauszugsdrucker und Geldautomaten. Doch die vertrauten Bankmitarbeiter, an die man sich wenden konnte, sind leider nur noch ein Servicetraum aus vergangenen Zeiten. 

Bei ihrem letzten Besuch im SB-Bereich der Sparkasse druckte sie Kontoauszüge und kam mit einem anderen Bankkunden ins Gespräch. Sie nahm die Kontoauszüge mit, vergaß aber beim Plaudern die EC-Karte, was sie erst später bemerkte, als sie beim Edeka an der Kasse ihren Einkauf bezahlen wollte. Große Verzweiflung, was ist zu tun? Dank meiner Frau, die ebenfalls über Bankvollmacht für ihr Konto verfügt, wurde die EC-Karte sofort gesperrt und eine neue in Auftrag gegeben. Allerdings erst, nachdem die im Anschreiben genannte Nummer für einen Kundenberater sich als eine Hotline herausstellte. Die lange Wartezeit, die sie benötigte, um einen Mitarbeiter zu erreichen – enervierend.

Nach einigen Tagen kommt die neue EC-Karte mit einem Anschreiben und den Bedingungen für die Sparkassencard-Girocard. Das Bedingungswerk auf 13 kleinbedruckten DIN-A4-Seiten. Erneute Ratlosigkeit bei der Schwiegermutter, ich verstehe das Schreiben und die Bedingungen nicht, was muss ich tun, um die Karte einfach wieder zu nutzen? Meine Frau erklärt, du legst das Bedingungswerk zu den Akten und wartest auf die Geheimzahl, damit du wieder einkaufen und Geld abheben kannst. 

Einige Tage später kommt Post mit der neuen Geheimzahl wieder mit einem langen Anschreiben und Transaktionsnummern für das Onlinebanking. Erneute Aufregung und Unverständnis. Im Anschreiben steht die Bank muss angerufen werden, um die Geheimzahl mit der Bank abzustimmen. Wieder ein längeres Telefonat zur Beruhigung und Erläuterung, wie sie das neue Schreiben einzuordnen hat und der explizite Hinweis, nie die Geheimzahl zu kommunizieren, auch nicht mit der eigenen Bank! Meine Frau erklärt meiner Schwiegermutter, die Geheimzahl musst du dir neu merken, die Transaktionsnummern musst du nicht nutzen, weil ich das Onlinebanking für dich erledige.

Für die Bank ist der Verlust oder die Sperrung von EC-Karten Routine und die juristisch einwandfreien Bedingungswerke, die dem Kunden zugeschickt werden – müssen fraglos rechtlich einwandfrei sein. Doch für meine Schwiegermutter bedeutet Post von der Sparkasse deshalb zunächst immer Hilflosigkeit, wenn die Anschreiben und Bedingungen im Juristendeutsch im Briefkasten auftauchen.

Das Handeln von Banken ist einerseits nachvollziehbar, der Kostendruck im Wettbewerb und neue Gewohnheiten – vor allem junger Bankkunden im Umgang mit Smartphone und Laptop beim Onlinebanking – zwingen zum Handeln. Filialen mit zwei bis drei Mitarbeitern sind auf dem Land, aber inzwischen selbst in der Stadt oftmals einfach nicht mehr rentabel. Die Folge sind massenweise Schließungen von Bankfilialen und zunehmend selbst von SB-Bankstellen, die inzwischen beliebte Anlaufstelle für Bankräuber und Vandalismus geworden sind.

Die vertraute Bankfiliale. In vielen Städten immer seltener – auch bei den Sparkassen.

Laut der Deutschen Bundesbank verringerte sich die Anzahl der Zweigstellen von Kreditbanken im Jahre 2021 um 1.279 auf 5.199. Dies entspricht einem Rückgang von 23,9 % – im Vorjahr waren es sogar 26,9 %. Auch im Sparkassenbereich (einschließlich Landesbanken) kam es zu einem Abbau von 617 Filialen.

Für die Sparkassen gilt aber eine Besonderheit, sie sind verpflichtet, einen gesetzlichen gemeinnützigen Auftrag zu erfüllen. Das unterscheidet sie bewusst von anderen Banken. Das soll trotz des wirtschaftlichen Drucks eine persönliche und direkte Betreuung der Kunden garantieren, insbesondere für Senioren. Denn die gehören ja zu den treuesten Bankkunden und haben zum Erfolg der Sparkassen maßgeblich beigetragen.

Die Wirklichkeit sieht jedoch auch bei den Sparkassen leider anders aus. Alte Menschen, die nicht mit einem Laptop umgehen können oder mit dem Smartphone sicher vertraut sind, bleiben auf der Strecke und nur noch ein überfälliger Kostenfaktor.

Ich finde, Sparkassen sollten Konzepte entwickeln, wie sie eine Bankversorgung für ihre Senioren sicherstellen. Aus meiner Jugend kenne ich noch den „Sparkassenbus“, der über die Lande fuhr, mit Bankberater und Kasse. So ein Bus ist heute teilweise wieder in Deutschland im Einsatz, nun aber mit einem SB-Bereich. Wie resümierte jüngst Matthias Niederberger in der NZZ so treffend: Im Jahr 2023 sind Internet und die reale Welt derart miteinander verschmolzen, dass, wer sich dem Internet verweigert, von der Bildfläche zu verschwinden droht. Oder wie meine Schwiegermutter, die zwar ihr iPhone gut beherrscht, aber beim Bedingungswerk für die Girocard und den Hotlines kapitulieren muss.