Endlich! Der Fußball rollt wieder – die Bundesliga-Rückrunde hat angefangen. Für die Fans das Ende einer tristen Zeit. Mitfiebern, Jubeln, Begeisterung sind wieder angesagt. Darüber wird das WM-Desaster bald im Nebel des Vergessens verschwinden. Die Fußball-Show-Industrie nimmt Fahrt auf.
Von Klaus Kimmel
Musiala, Sané, Kimmig und Co. werden wieder gefeiert. Doch warum erwärmen sie nicht wie Fritz Walter oder Uwe Seeler noch heute unsere Herzen? Warum werden sie nicht so verehrt wie das gerade verstorbene Ski-Idol Rosi Mittermaier oder im Osten Radlegende Täve Schur?
Als bodenständig, fröhlich, bescheiden, optimistisch, immer strahlend, volksnah werden die Genannten nahezu gleichlautend beschrieben. Eigenschaften, die die Menschen lieben. Eigenschaften, die auch heute Top-Athleten auszeichnen. Doch davon erfahren wir in der schnelllebigen Zeit trotz großer Medienlandschaft und Twitter, Facebook und Co. selten etwas. Die Unterhaltungsbranche Sport ist getrieben, giert ständig nach neuen Gesichtern, neuen Geschichten. Möglichst schrill, abgefahren, bunt – das bringt Quote und Klicks. Auf dem Weg zur Monetarisierung wird das gern genommen. Bodenständigkeit und Volksnähe sind da eher nicht gefragt.
Der Fußball ist dabei mit seinen irrwitzigen Summen und Gehältern der Lebenswirklichkeit seiner Fans unendlich weit entrückt. Wohlhabend bis reich und weitestgehend vom gesellschaftlichen Leben isoliert, liefern die Kicker Woche für Woche im Kampf um Punkte ihre Künste ab. Sie trachten dabei mit ihren Beratern aber stets auch nach Verbesserung ihres Marktwertes. Ihre Fans sparen sich das Geld für ihre Unterstützung (Tickets, Reisekosten) mühsam zusammen, dieweil die jungen Millionäre überlegen, wie ihr Hof-Friseur ins Trainingslager eingeflogen werden kann, damit sie mit neuer Frisur wieder für Gesprächsstoff sorgen können. Oder sie sinnen nach einer neuen Torjubel-Choreographie.
Einem Uwe Seeler wäre das so wenig wie ein Vereinswechsel wegen einer höheren Gage in den Sinn gekommen. „Uns Uwe“ hat auch gesprochen, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Den Gladiatoren der Neuzeit hingegen geben Manager und Medientrainer den Sprech vor. Das Ergebnis: überwiegend Statements, glattgebügelt wie eine Leinentischdecke. Wie da eine Persönlichkeit zeigen? Darin kann sich der Fan nicht wiedererkennen. In Stärken, die er gerne hätte, und Schwächen, die er hat und deshalb gerne verzeiht. Das erklärt den lauten Beifall für Niclas Füllkrug bei seinem WM-Debüt mehr als dessen Tore. Seine Zahnlücke und die unverbogenen Statements machten ihn zu einem von uns. Wie auch Thomas Müller, dem selbst eingefleischte Norddeutsche ob seiner Ansagen sein Bayerisch nicht übel nehmen. Zwei löbliche Ausnahmen.
Mannschaftseinlauf, zu einer Zeit als Fußball kein Milliardenbusiness war…
Ein weiterer Teil der Antwort auf die Eingangsfrage: Die Fokussierung der gesamten Medienlandschaft auf die Fußball-Unterhaltungsindustrie hat zur Folge, dass Top-Athleten aus anderen Sportarten heute kaum oder gar keine Chance haben, Kultstatus zu erreichen. Da können sie erfolgreich, bodenständig, klug und von großer Menschlichkeit sein. Im besten Falle erfährt das der Interessierte ansatzweise partiell, ereignisbezogen bei Olympia oder Weltmeisterschaften. Oder wenn Fußballpause ist und Sendeplätze und Zeitungsspalten mit Hockey, Dart und Kanu gefüllt werden (müssen). Man reibt sich erstaunt die Augen, dass es diese Sportarten überhaupt gibt.
Die Sportschau und das Aktuelle Sportstudio werden da auf einmal ihren Namen gerecht und senden nicht nur Fußball mit „Bunter Garnierung“. Die Senderverantwortlichen verweisen mit kühnen Zahlenspielen und voller Entrüstung seit Jahren auf die Ausgewogenheit der Sportarten in ihren Berichterstattungen. Diese Erkenntnis aber haben sie weltexklusiv für sich. Sportler des Jahres Zehnkämpfer Niklas Kaul oder Bahnradsprinterin Emma Hinze als Europa- bzw. Weltmeister vegetieren als Beispiel für viele überwiegend in Spartenkanälen und in Ergebnisspiegeln der Zeitungen dahin. Sie hätten womöglich das Zeug zu Idolen, könnten mit ihren Lebensgeschichten durchaus wie Uwe Seeler oder „Gold-Rosi“ als Athleten zum Anfassen unsere Herzen erobern – und sie hätten es womöglich verdient. Doch sie werden es nicht können, weil sie nicht ins Sport-BIZ passen.
Das ist ungerecht – gegenüber allen Top-Athleten, die sich unter finanziell weit schlechteren Bedingungen als die Fußballer mindestens genauso, wenn nicht sogar mehr mühen. Gewiss. Doch die Medien folgen wie der professionalisierte Sport den Gesetzen der Marktwirtschaft. Quote, Auflage und damit hohe Werbe-Einnahmen bringt in Deutschland verlässlich nur der Fußball mit all seinem Drum und Dran. Oder als Ausnahmen mit Personen und interessierter Wirtschaft verbundene Hypes wie Tennis (Boris Becker, Steffi Graf), Formel 1 (Michael Schumacher) oder Radsport (Jan Ulrich). Da wird dann wie im Fußball medial geklotzt. Doch das ist auch schon Jahrzehnte her.
Im Milliardenspiel sind Sportler zum Anfassen eine aussterbende Spezies. Goodbye Gold Rosi, „Uns Uwe“ und Täve!