Harry, Larry und das Digitale Deutschland

Digital ist Deutschland hoffnungslos abgehängt und droht den Anschluss endgültig zu verpassen. Zeit für eine Kurskorrektur – solange es noch möglich ist.

Ein Gastbeitrag von Jo Groebel

Noch eine Krise. Obwohl sie neben den vielen anderen wie Krieg, Krankheit durch Corona und Klimakatastrophe kaum wahrgenommen wird. Die Robert-Bosch-Stiftung hat soeben in einer Studie wieder einmal bestätigt, wie eklatant in Deutschland die Schul- und Bildungsmisere ausfällt. Ganz oben auf der Miseren-Skala: der dramatische Lehrermangel. Merkt nur außer Eltern und den immer weniger fit gemachten Kindern niemand. Dabei könnte hier eine ähnlich latente Zeitbombe ticken wie bei der nicht mehr zu leugnenden Umweltzerstörung. Nur, dass es schlimmstenfalls um den geistigen Niedergang des Landes geht. Und um eine massive Bedrohung für die nationale Wirtschaft, weil es an Umfang und Qualität der Bildung fehlt. Dabei könnte beides allein durch digitale Ressourcen wie in anderen Regionen selbstverständlich einen Riesenschub nach vorne bekommen. Dann wären wir nämlich inzwischen das digitale Deutschland, das eine Autorengruppe rund um das DDI und WMP mit Namen wie Peter Kloeppel, Frank Briegmann, Thomas Bach, Wolf Bauer, Jan Mojto, Markus Schächter und Thomas Heilmann schon vor sage und schreibe fünfzehn Jahren beschworen hatte. In einer Zwölf-Punkte Charter schlugen wir konkrete Maßnahmen vor. Unter anderem für den schnellen Breitbandanschluss jeden Bürgers und ein schnelles Netz. Für das Erkennen der Digitalisierung als künftigem Rohstoff. Für die digitale Welt als Möglichkeit sozialer Integration. Und für die aktive Gestaltung der Digitallandschaft durch eine vorausschauende Politik.

Stattdessen aber gefällt man sich im Lande zu häufig immer noch mit Bedenken, warum die digitale Welt vor allem riskant sei. Cyber-Mobbing, mangelnder Datenschutz, angebliche Oberflächlichkeit. Mag es alles auch geben. Aber ob kulturell, kommunikativ, wirtschaftlich, technologisch, es ist fast peinlich, es erneut zu nennen: Die konstruktiven Seiten von Internet, digitaler Welt und Co. sind überwältigend. Apropos Deppen. All das Klagen über alle möglichen Probleme ähnelt dem eines Prinz Harry. Als 150-facher Millionär hat er aus seinem Dauerlamento über eine angeblich diskriminierende Familie und ein paar verlorene Privilegien ein funktionierendes Geschäftsmodell gemacht. Und mit Klagen oder zumindest vorsichtigem Abwarten kennt man sich auch in Deutschland gut aus. Eine prosperierende Bedenkenindustrie aus Schutz- und Regulierungsinstitutionen, mahnenden Bestsellerautoren und Vereinen, die sich in wohliger Sorge um das Heil der Menschen gegen das digitale Böse eingerichtet haben, weiß trefflich davon zu leben. Und versammelt viele von denen, die zwar keine Deppen sind, für ihre intellektuelle Überqualifikation jenseits praktischer Arbeit aber rhetorische Sinnfelder suchen.

Eine längst überholte Karikatur?

Keineswegs. Selbstverständlich, Missverständnisse, Missbrauch und Gefährdungen müssen unnachgiebig bekämpft werden. Die Relationen stimmen nur nicht. Digitalisierung ist zunächst einmal ein hervorragendes Instrument für Aufklärung, Verständigung, wirtschaftliches Prosperieren. Und eben Bildung. Auch die war ein zentraler Faktor bei unserer Digitalcharta. Denn wir hatten am DDI in einer internationalen Meta-Analyse der einschlägigen Forschung wiederum schon vor Jahren zeigen können, wie massiv der Einsatz digitalen Lernens allen Schülern und Lernwilligen generell gezielt helfen kann. Sie erreichen damit überwältigend bessere Leistungen in allen Bereichen und all das auch noch mit viel größerem Spaß. Der bekanntlich Lernen immens erleichtert und fördert. Übrigens all das nicht im Sinne einer zunehmenden Kluft zwischen Zurückbleibenden und Leistungsmotivierten, vulgo Deppen und Strebern. Ganz im Gegenteil. Gerade die vorher mit Mühen Lernenden machten durchs Digitale die allergrößten Fortschritte. All das weiß man seit Langem. Und könnte ein – selbstverständlich nur ein – Heilmittel zur deutlichen Verbesserung der Bildungssituation sein. Und warum passiert nichts, passiert viel zu wenig?

Einige Stichwörter mögen ausreichen, um es zu erklären, aber nicht zu entschuldigen. Sie sind so offensichtlich, dass ich mir hier eine Vertiefung spare. Eifersüchtiger Föderalismus, der jedenfalls bei der Bildung nicht wirklich förderlich ist. Überregulierung, und noch schlimmer, Verhinderung von digitalen Möglichkeiten, um auch wirklich jedes der angesprochenen Restrisiken und sei es noch so klein auszuschließen. Zum Beispiel: Schüler und Schülerinnen könnten ja plötzlich im Unterricht abgelenkt werden. Ja und? Es gibt inzwischen Myriaden exzellenter, so genannter Gamified Learning Apps. Lernen und Spaß eben. Und all das auch noch im intensiven Austausch zwischen den Lernwilligen in Selbstorganisation.  

Wie ein abgedankter Duke of Windsor

Auch so ein Harry. Wir empfinden uns immer noch als König. König, als Land der Dichter und Denker. Laufen aber Gefahr, wie ein abgedankter Duke of Windsor international belächelt umherzuirren und nicht mehr unbedingt ernst genommen zu werden beim Anspruch, groß zu sein, jedenfalls, wenn es um Fortschritt im Digitalen geht. Noch sind wir Bildungsnation. Warum tun wir so verdammt wenig dafür? Wie sagte man vielerorts noch gleich: “The Germans know how to turn money into knowledge”. But they don’t know how to turn knowledge into money. Leider stimmt nicht einmal der erste Satz mehr. Oder einfacher gesagt: Wir haben im Prinzip alles, auch die Kohle. Und machen nichts draus. Schlimmstenfalls droht sogar immer mehr Leuten bei der Bildung das Prinzip Hartz IV statt Harry. Auch wenn das jetzt Bürgergeld heißt. Harry sieht wenigstens immer noch schmuck aus. Kann man von unseren Schulen leider nicht sagen.

Ich könnte nun beliebig weiter über mangelndes e-Government, Entscheidungsträgheit, Verantwortungsscheu, mangelnde Belohnung von Pioniergeist oder Technikskepsis lamentieren. Anders als er möchte ich mich aber nicht wie Harry zum Larry machen. Und greife ganz positiv eine zentrale Forderung unserer damaligen Deutschen Digitalcharter auf. Sie wurde ‚selbstverständlich‘ leider immer noch nicht umgesetzt: Die Einrichtung eines Digitalministeriums.

Auf Bundesebene. Warum? Weil es der Sache und Ihrer Bedeutung für die Zukunft angemessen wäre. Weil es Kräfte und Kompetenzen endlich bündeln und ein wichtiges Signal für die Zukunft des Landes senden würde. Übrigens auch für den viel zu sehr unterbewerteten Mittelstand. Vielleicht sogar für die Basis einer Technologie gegen Cyberattacken. Egal ob kriminellen oder militärischen oder aus beiden Ecken. Eine Technologie, die sich irgendwann nebenbei auch in friedlichen Anwendungen profitabel auswirkt. Her also mit einer Digitalministerin. Ja, Ministerin. Der kanzlersche Geschlechterproporz wäre wieder verbessert. Und diesmal sogar sinnvoll, denn hier gibt es gute Frauen zu Hauf. Die Münchner Pre-Davos-Konferenz DLD hat es gerade mit Praktikerinnen und Visionärinnen rund um die Initiatorin Steffi Czerny wieder einmal bewiesen. Egal ob on-stage wie Solveigh Hieronimus oder off-stage wie Tijen Onaran. Und die nächste Kabinettsumbildung könnte ohnehin bald wieder anstehen. Bitte mit einem eigenständigen Digitalressort und seiner Chefin. Bitte nur nicht wieder mit Frau L. Ich meine nicht Frau Larry.

Jo Groebel gilt als einer der Begründer der modernen Medienpsychologie und der Fernsehforschung der 1980er und 1990er-Jahre. Im Jahr 2006 gründete er das Deutsche Digital-Institut in Berlin und ist heute einer der gefragtesten Medienexperten des Landes.

Sportler zum Anfassen – wo sind sie geblieben?

Endlich! Der Fußball rollt wieder – die Bundesliga-Rückrunde hat angefangen. Für die Fans das Ende einer tristen Zeit. Mitfiebern, Jubeln, Begeisterung sind wieder angesagt. Darüber wird das WM-Desaster bald im Nebel des Vergessens verschwinden. Die Fußball-Show-Industrie nimmt Fahrt auf.

Von Klaus Kimmel

Musiala, Sané, Kimmig und Co. werden wieder gefeiert. Doch warum erwärmen sie nicht wie Fritz Walter oder Uwe Seeler noch heute unsere Herzen? Warum werden sie nicht so verehrt wie das gerade verstorbene Ski-Idol Rosi Mittermaier oder im Osten Radlegende Täve Schur?

Als bodenständig, fröhlich, bescheiden, optimistisch, immer strahlend, volksnah werden die Genannten nahezu gleichlautend beschrieben. Eigenschaften, die die Menschen lieben. Eigenschaften, die auch heute Top-Athleten auszeichnen. Doch davon erfahren wir in der schnelllebigen Zeit trotz großer Medienlandschaft und Twitter, Facebook und Co. selten etwas. Die Unterhaltungsbranche Sport ist getrieben, giert ständig nach neuen Gesichtern, neuen Geschichten. Möglichst schrill, abgefahren, bunt – das bringt Quote und Klicks. Auf dem Weg zur Monetarisierung wird das gern genommen. Bodenständigkeit und Volksnähe sind da eher nicht gefragt.

Der Fußball ist dabei mit seinen irrwitzigen Summen und Gehältern der Lebenswirklichkeit seiner Fans unendlich weit entrückt. Wohlhabend bis reich und weitestgehend vom gesellschaftlichen Leben isoliert, liefern die Kicker Woche für Woche im Kampf um Punkte ihre Künste ab. Sie trachten dabei mit ihren Beratern aber stets auch nach Verbesserung ihres Marktwertes. Ihre Fans sparen sich das Geld für ihre Unterstützung (Tickets, Reisekosten) mühsam zusammen, dieweil die jungen Millionäre überlegen, wie ihr Hof-Friseur ins Trainingslager eingeflogen werden kann, damit sie mit neuer Frisur wieder für Gesprächsstoff sorgen können. Oder sie sinnen nach einer neuen Torjubel-Choreographie.

Einem Uwe Seeler wäre das so wenig wie ein Vereinswechsel wegen einer höheren Gage in den Sinn gekommen. „Uns Uwe“ hat auch gesprochen, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Den Gladiatoren der Neuzeit hingegen geben Manager und Medientrainer den Sprech vor. Das Ergebnis: überwiegend Statements, glattgebügelt wie eine Leinentischdecke. Wie da eine Persönlichkeit zeigen? Darin kann sich der Fan nicht wiedererkennen. In Stärken, die er gerne hätte, und Schwächen, die er hat und deshalb gerne verzeiht. Das erklärt den lauten Beifall für Niclas Füllkrug bei seinem WM-Debüt mehr als dessen Tore. Seine Zahnlücke und die unverbogenen Statements machten ihn zu einem von uns. Wie auch Thomas Müller, dem selbst eingefleischte Norddeutsche ob seiner Ansagen sein Bayerisch nicht übel nehmen. Zwei löbliche Ausnahmen.







Mannschaftseinlauf, zu einer Zeit als Fußball kein Milliardenbusiness war…

Ein weiterer Teil der Antwort auf die Eingangsfrage: Die Fokussierung der gesamten Medienlandschaft auf die Fußball-Unterhaltungsindustrie hat zur Folge, dass Top-Athleten aus anderen Sportarten heute kaum oder gar keine Chance haben, Kultstatus zu erreichen. Da können sie erfolgreich, bodenständig, klug und von großer Menschlichkeit sein. Im besten Falle erfährt das der Interessierte ansatzweise partiell, ereignisbezogen bei Olympia oder Weltmeisterschaften. Oder wenn Fußballpause ist und Sendeplätze und Zeitungsspalten mit Hockey, Dart und Kanu gefüllt werden (müssen). Man reibt sich erstaunt die Augen, dass es diese Sportarten überhaupt gibt.

Die Sportschau und das Aktuelle Sportstudio werden da auf einmal ihren Namen gerecht und senden nicht nur Fußball mit „Bunter Garnierung“. Die Senderverantwortlichen verweisen mit kühnen Zahlenspielen und voller Entrüstung seit Jahren auf die Ausgewogenheit der Sportarten in ihren Berichterstattungen. Diese Erkenntnis aber haben sie weltexklusiv für sich. Sportler des Jahres Zehnkämpfer Niklas Kaul oder Bahnradsprinterin Emma Hinze als Europa- bzw. Weltmeister vegetieren als Beispiel für viele überwiegend in Spartenkanälen und in Ergebnisspiegeln der Zeitungen dahin. Sie hätten womöglich das Zeug zu Idolen, könnten mit ihren Lebensgeschichten durchaus wie Uwe Seeler oder „Gold-Rosi“ als Athleten zum Anfassen unsere Herzen erobern – und sie hätten es womöglich verdient. Doch sie werden es nicht können, weil sie nicht ins Sport-BIZ passen.

Das ist ungerecht – gegenüber allen Top-Athleten, die sich unter finanziell weit schlechteren Bedingungen als die Fußballer mindestens genauso, wenn nicht sogar mehr mühen. Gewiss. Doch die Medien folgen wie der professionalisierte Sport den Gesetzen der Marktwirtschaft. Quote, Auflage und damit hohe Werbe-Einnahmen bringt in Deutschland verlässlich nur der Fußball mit all seinem Drum und Dran. Oder als Ausnahmen mit Personen und interessierter Wirtschaft verbundene Hypes wie Tennis (Boris Becker, Steffi Graf), Formel 1 (Michael Schumacher) oder Radsport (Jan Ulrich). Da wird dann wie im Fußball medial geklotzt. Doch das ist auch schon Jahrzehnte her.

Im Milliardenspiel sind Sportler zum Anfassen eine aussterbende Spezies. Goodbye Gold Rosi, „Uns Uwe“ und Täve!

Berlin, du wunderbare Stadt…

…aber manchmal machst du uns ganz schön irre. Wenn man in diesen Tagen „Berlin“ googelt, findet man wenig Erfreuliches: „Neuer Pyro-Krawall, Rettungskräfte rufen Polizei“; „5 Gründe, warum die Stadt dringend einen Neustart braucht“; „Irgendwas stimmt nicht in Berlin“. So oder so ähnlich sehen aktuelle Schlagzeilen in Berliner Medien aus.

Von Louis Hagen

Was ist los? Ist Deutschlands Hauptstadt noch zu retten? „Berlin ist ein Schmuddelkind mit Charme“, sagt mein Freund Klaus, selbst Berliner. „Hier liebt man oft das Unvollkommene. Berlin war immer groß – im Guten wie im Schlechten.“ Der Kunstkritiker Karl Scheffler formulierte schon 1910: „Berlin ist dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein.“

Nehmen wir das Verkehrschaos. Berlin ist von jeher eine große Baustelle gewesen. Die Stadt wurde in den 70er Jahren zur Autostadt umgebaut – jetzt sollen die Autos weg und Fahrräder her. Die Prachtstraße Unter den Linden ist inzwischen nur noch für Fußgänger da. Hoffentlich bleibt es wenigstens dabei.

Viele schimpfen über Berlin – aber lieben die Stadt doch. Was in der Politik nicht funktioniert, wird auch Berlin zugeschrieben: der Genderstrich-Irrsinn; der ausbleibende Doppel-Wumms des Kanzlers; Digitalisierung, die nicht viel weiter ist, als in Zeiten des Fernschreibers; miserables Bildungsniveau: Berlin ist noch immer zweigeteilt. 33 Jahre nach dem Mauerfall gibt es weiterhin verschiedene Gehälter in West- und Ostberlin.

Berlin ist berühmt für den Gleichmut seiner Bürger. Sie sagen: „Dit is mir schnurzpiepe oder: „Sehen se, dit is Balin.“

Soweit, so amüsant. Aber schauen wir doch mal auf aktuelle Zahlen: In Berlin gibt es anerkannte exzellente Wissenschaft. 36 Forscherinnen und Forscher von Berliner Hochschulen gehören laut dem Ranking des Londoner Instituts Clarivate Analytics „Highly Cited Researchers“ zu den weltweit einflussreichsten Vertretern ihres Fachs. Darunter der Virologe Christian Drosten und zehn weitere Mitglieder der Charité.

Als einzige deutsche Stadt schafft es Berlin unter die Top 25 der beliebtesten Reiseziele der Welt. Die deutsche Metropole belegt den elften Platz hinter Paris, New York und London. Burkhard Kieker, Geschäftsführer des Reiseportals visitBerlin: „Wer nach Berlin kommt, kann das besondere Lebensgefühl der Stadt spüren“.

Das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (Erkner bei Berlin) hat ein vergleichendes Ranking für die Aktivität von Städten beim Klimaschutz erarbeitet. Ganz vorne: die deutsche Hauptstadt. Berlin tut am meisten in Sachen Klimaschutz.

Berlin ist auch die Stadt der Ideen. Viele Kreative arbeiten hier, zahlreiche Kommunikationsagenturen haben ihren Standort in der Stadt. Dazu gehört auch unsere Agentur, die WMP Eurocom AG. Das „World Economic Forum“ wählte Berlin unter die Top 20 der innovativsten Städte der Welt. In der Kategorie „Talentkonzentration“ landet Berlin sogar auf Platz 10.

Wir von der WMP finden: Dit is‘ knorke.