Kulturelle Leuchtturmprojekte stehen für gelungenes Standortmarketing!

In einer Zeit, wo scheinbar nur Krieg, Rezession, Massenproteste und Streiks die Nachrichten dominieren, möchte ich an Ideen und Projekte im Kulturbereich erinnern, die man zu Recht als Leuchtturmprojekte bezeichnet, weil Sie innovativ und ihrer Zeit weit voraus waren. Sie stehen für eine nachhaltige, positive Entwicklung im Kulturbereich und im Standortmarketing.

Stardirigent Leonard Bernstein – der erfolgreichste „Werbeträger“ für das SHMF

Ein besonderes Leuchtturmprojekt war die Gründung des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) von Justus Frantz. Zu einer Zeit, als in Schleswig-Holstein die Schlagzeilen von Werften- und Robbensterben bestimmt waren, sich die Kulturinstitutionen überwiegend in Sommerpause befanden, setzte die Gründung des Festivals einen musikalischen und gesellschaftspolitischen Kontrapunkt. Dies erkannte 1986 auch der damalige Ministerpräsident Uwe Barschel, der die Idee und das Festival mit Steuergeldern entscheidend ermöglichte. Die Weltstars der Klassik, angelockt von einer Charmeoffensive eines charismatischen, vor Ideen sprudelnden Intendanten Justus Frantz, kamen aufs „platte Land“ nach Schleswig-Holstein.

Weltweites Medieninteresse erweckte im ersten Jahr vor allem Leonard Bernstein, er war wohl der erfolgreichste „Werbeträger“ des Landes. Die Schleswig-Holsteiner bekamen „music at it`s best“ praktisch bis vor die eigene Haustür. Es wurde in Konzertsälen, Kirchen, Scheunen, Herrenhäusern und Schlössern musiziert, die vorher überwiegend nicht der Öffentlichkeit zugänglich waren oder als Konzertstätte noch nie genutzt wurden. Prominente aus Kultur, Wirtschaft und Politik pilgerten zum Festival. Zu jedem Konzert gab es – damals komplett ungewöhnlich – sehr günstige Karten zum Preis einer Kinokarte, weil Justus Frantz Sponsoren gewann, ebenfalls damals im Kulturbereich weitestgehend unüblich. Sponsoren im Kulturbetrieb wurden von heftiger Kritik einiger Konzertbesucher und der Journalisten begleitet.

Das SHMF ist eine geniale Idee von Justus Frantz gewesen, die identitätsstiftend für die Schleswig-Holsteiner wurde und ihnen ihr Land auf ganz neue Art näherbrachte. Die Struktur, einst vom Intendanten erdacht und konzipiert, hat bis heute Bestand. Konzerte flächendeckend im ganzen Land, ein internationales Jugendorchester mit jungen Musikstudenten aus über 30 Nationen – die durch ihren Aufenthalt positive Multiplikatoren für das Gastgeberland Schleswig-Holstein werden – Musikfeste auf dem Lande in Scheunen und Herrenhäusern für Jung und Alt, mit Musik aller Genres und ehrenamtliche Beiräte, die für die Sache „brennen“ und eine spezielle Gastgeberrolle vor Ort übernehmen.

Das Rheingau Musik Festival – von Anfang an auf die privatwirtschaftliche Karte gesetzt

Ein anderes Leuchtturmprojekt führt in das Rheingau. Mit einer marginalen staatlichen Unterstützung kommt das größte privatwirtschaftlich finanzierte Musikfestival Europas aus, das Rheingau Musik Festival. Der Gründer und Intendant Michael Herrmann hat sich vom Verlust des ersten Festivaljahres nicht entmutigen lassen und von Anfang an auf die privatwirtschaftliche Karte mit befreundeten Unternehmern und Unternehmen gesetzt. Mit Erfolg: Mit rund 150 Konzerten und über 150 Sponsoren wurde aus einem Ein-Mann-Betrieb ein mittelständisches Unternehmen. Das Rheingau Musik Festival trumpft mit besonderen, außergewöhnlichen Spielstätten auf, die bekannteste ist wohl das Kloster Eberbach, weltweit bekannt durch die Verfilmung des Romans von Umberto Eco „Im Namen der Rose“ mit Sean Connery. Auch das Rheingau Musik Festival gehört zu den herausragenden europäischen Festivals.

Der Stolz Hamburgs – die Elbphilharmonie

Die Elbphilharmonie in Hamburg ist ein kulturelles Leuchtturmprojekt der Extraklasse.  Ein weltweit einzigartiger Bau mit einer öffentlichen Plaza, für jedermann zugänglich, nicht nur für Konzertbesucher, Restaurantgänger und Hotelgäste. Von der Plaza hat man einen herrlichen Ausblick auf Hafen und Stadt. Von der skandalösen Bauzeit und der Kostenexplosion beim Bau ist nur noch am Rande die Rede. Die erste Kostenschätzung für den Prestigebau belief sich auf harmlose 77 Millionen Euro. Das rechnete der Senat unter dem damaligen Ersten Bürgermeister Ole von Beust vor. Er war wild entschlossen, das Projekt zu realisieren. Am Ende hatten sich diese Baukosten verzehnfacht – auf knapp 800 Millionen Euro. Die Elbphilharmonie mit einem vielfältigen Angebot u.a. aus Klassik, Jazz, Weltmusik auf Weltniveau ist ein Magnet für Musikliebhaber aus Hamburg und der Welt geworden. Die ursprüngliche Idee, aus einem Kaispeicher ein Konzerthaus, ja ein neues Wahrzeichen für Hamburg zu machen, ist geglückt. Dank des heute so gescholtenen Kanzler Olaf Scholz, dem damaligen Ersten Bürgermeister Hamburgs, der den gordischen Knoten aus Bauexplosionen, Baustillstand und Gerichtsprozessen zwischen der Stadt Hamburg und der Baufirma löste. Er ebnete so den Weg für eines der spektakulärsten und schönsten Konzerthäuser der Welt, entworfen von den Schweizer Stararchitekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Heute geleitet von dem Intendanten Christoph Lieben-Seutter, der auch schon während der Bauphase an „Bord“ war, und mit seinem Namen für unkonventionelle, mutige Programmgestaltung steht. Die Elbphilharmonie ist ein wichtiger Standortfaktor für die Stadt mit rund 15 Mio. Besuchern auf der Plaza und über 3,5 Mio. Konzertbesuchern seit ihrer Eröffnung und der Stolz aller Hamburger!  

Dresdner Musikfestspiele – genresübergreifendes Kulturangebot auf höchstem Niveau

Eines der renommiertesten Musikfestspiele Europas, hat seine Heimstatt in der wunderschönen Barockstadt Dresden, es sind die Dresdner Musikfestspiele. Die Existenz der Festspiele geht auf einen Beschluss des Zentralkomitees der SED und des Ministerrates der DDR von 1976 mit folgender Verfügung: „Beginnend 1978 finden in Dresden als jährlich durchzuführendes Musikfestspiel internationalen Ranges Dresdner Musikfestspiele statt!“  Das Zentralkomitee der SED und der Ministerrat der DDR sind bekanntlich Geschichte, die Dresdner Musikfestspiele mit seinem Intendanten Jan Vogler, sympathischer Weltbürger und großartiger Cellist, erfreulicherweise nicht. Das Festival ist seit Bestehen ein Aushängeschild für ein genresübgreifendes Kulturangebot auf höchstem internationalem Niveau. Es hat als Besonderheit mit dem eigenen Dresdner Festspielorchester einen Klangkörper, der sich auf historisch informiertes Musizieren auf historischen Instrumenten spezialisiert hat. Mit seinem speziellen, historischen Klang sorgt es für Furore. Dieses Jahr steht die konzertante Aufführung der Walküre von Richard Wagner unter Leitung von Kent Nagano auf dem Programm und sorgt bei Wagnerianern schon für große Vorfreude. Das Besondere des Projektes ist die direkte Verbindung von wissenschaftlichem Arbeiten mit der musikalischen Praxis, wobei der Fokus darauf liegt, wie sich Wagner seinen »Ring« vorgestellt hat und wie er geklungen haben könnte. Das Festival hat in diesem Jahr mit Laufey eine junge Jazz-Künstlerin zu bieten, die mit 12,4 Mio. monatlichen Hörern bei Spotify schon fast so viele aufzubieten hat wie Sting, der auf 13,0 Millionen kommt, ebenfalls bei den Dresdner Musikfestspielen zu erleben.

Eine neue Idee für Leipzig – Der GewandhausCampus

Bild © Snøhetta

Ein zukunftsweisendes Leuchtturmprojekt entsteht auch in Leipzig. Nach einer Idee des Gewandhausdirektors Prof. Andreas Schulz sollen drei neue und stadtbildprägende Gebäude, der GewandhausCampus, nach Plänen des Osloer Architekturbüros Snøhetta in einem neu zu erschließenden Stadtteil entstehen. Hier soll ein besonderes Zentrum der Musik entstehen: ein Labor, in dem neue Musikformate jeglicher Art initiiert werden, ein „Third Place“ für die Menschen, und ein Ort der umfangreichen Teilhabe. Das Music Lab wird ein Ort der Bildung, des Experimentierens und der Kommunikation mit einem außergewöhnlichen, multifunktionalen Konzertsaal mit 350 Plätzen und modernster Veranstaltungstechnik. Das Seminargebäude wird die Heimstatt der internationalen jungen Musikerinnen und Musiker der Mendelssohn Orchesterakademie. Die hochbegabten Musikstudenten gelten als „Nachwuchs“ für das traditionsreiche Gewandhausorchester. In der Kita werden bereits die „Kleinen“ an die Musik herangeführt. Mit dem Music Lab, dem Seminargebäude und der Kita entsteht eine zukunftsweisende Vernetzung und Entwicklung für den Musikstandort Leipzig und weit darüber hinaus. Der GewandhausCampus bildet die perfekte räumliche Ergänzung und Weiterentwicklung des Gewandhauses. Anders als bei vielen kulturellen Neubauten in der Vergangenheit, die mit Kostenexplosionen beim Bau verbunden waren, gehen der Intendant Prof. Andreas Schulz, der Bauträger, die Leipziger Stadtbau AG  und die Stadt Leipzig mit viel Sorgfalt bei der Realisierung des Projekts vor. Derzeit fehlen noch Mäzene bzw. Sponsoren, um die laufenden Kosten nach Fertigstellung des GewandhausCampus in Höhe von einer Million Euro p.a. für die nächsten 10 Jahre zu gewährleisten. Der GewandhausCampus ist von Beginn an auf eine Finanzierung durch öffentliches und privates Geld angelegt – im besten Wortsinn ein „Public-Private-Partnership“- Projekt! Die bauliche Fertigstellung ist bereits finanziell abgesichert. Erst wenn auch für die laufenden Kosten Sponsoren zur Verfügung stehen, erfolgt der erste Spatenstich. Dann wird der GewandhausCampus ein vorbildliches und einzigartiges Leuchtturmprojekt.

Zusammenfassend kann man festhalten: Kulturelle Leuchtturmprojekte sind ein sehr wichtiger Standortvorteil für die jeweiligen Städte bzw. die Regionen und kein überflüssiger Luxus. Die Kultur steht noch vor der Energie als Wirtschaftsfaktor in Deutschland und ist eine der umsatzstärksten Branchen mit rund 256.000 Unternehmen.

Gehören Verspätungen und Streiks bei der Bahn zum deutschen Kulturgut?

Jeder, der in Deutschland mit der Bahn reist, kennt das Szenario: Verspätungen und Zugausfälle. Typischerweise erfährt man davon am Bahnhof, oft während man in der „DB Navigator“ App hektisch nach Alternativen sucht. Die Gründe? Die hört man meist nur mit halbem Ohr, während man sich notdürftig mit Backwaren oder sonstigen Leckereien aus Frust eindeckt – sofern es nicht gerade Nacht ist oder man es eilig hat.

Solche Situationen fordern Geduld und Flexibilität. Oft gibt es zwar eine Entschädigung, aber die verlorene Zeit? Die ist unwiederbringlich. Liegt das Problem bei der Deutsche Bahn, die ihre Prozesse und Personalmanagement modernisieren müsste? Oder müssen wir uns selbst einfach besser anpassen und auf solche Zustände vorbereitet sein?

Auf der DB-Website gibt es Tipps zu Buchung, Bestpreis, Platzreservierung und mehr. Aber letztendlich, wenn etwas schiefgeht, bleibt dem Fahrgast oft nur, die Entschuldigungen der Bahn anzunehmen – auch wenn sie noch so lang und begründet sind.

Die GDL ist jetzt wieder in einen mehrtägigen Streik getreten. Da die Bahn ein wichtiger Wirtschaftssektor ist, betreffen solche Streiks viele: Man weicht auf das Auto aus, verschiebt oder storniert die Reise. In unserem Rechtsstaat haben Gewerkschaften das Recht zu streiken, meist tun sie das für bessere Arbeitsbedingungen. Doch nach mehreren Streiks und massiven Zugausfällen ist auch die Geduld und Zustimmung in der Bevölkerung endlich.

Das wirft eine Frage auf: Wenn die Bahn streikt, warum protestieren die Fahrgäste nicht lautstark? Ist aktives Handeln zwecklos, oder ist die Protestkultur in Deutschland einfach anders? Deutsche Disziplin zeigt sich auch in Protesten, wobei politische Themen oft mehr Gewicht haben als soziale Probleme. Sind die aktuellen Bauernproteste eine Ausnahme oder Vorboten eines sozialen Umbruchs? Die Zeit wird es zeigen.

Mariia Tsuker absolviert bei WMP ein Praktikum während ihres Masterstudiums der Politikwissenschaften in Jena. Mariia Tsuker stammt aus der Ukraine und schildert in diesem Beitrag ihre Eindrücke und persönlichen Erlebnisse mit der Deutschen Bahn

Die Stunde der wehrhaften Demokraten schlägt jetzt

Am 10. Januar veröffentlichte CORRECTIV eine Recherche über ein Treffen von hochrangigen AfD-Politikern, Neonazis und finanzstarken Unternehmern. Agenda des Treffens war die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland. Erste Reaktionen reichen von Verharmlosung bis hin zu Parteiverboten. Wo stehen wir und was muss sich im Superwahljahr 2024 ändern?

Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt die AfD. Sie war bei dem Treffen vertreten, sie stellt nicht nur im Osten einen Umfrage- und Wahlrekord nach dem anderen auf und sie ist mit den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg so nah an den Trögen der Macht, wie es sich selbst die AfD Funktionäre wohl nur in tiefbraunen Träumen erhofft hatten. Der erste Reflex, der jetzt wieder wahrgenommen wird, ist die Forderung nach einem Partei-Verbot. Sofort und für alle Zeiten scheint das Problem damit gelöst zu sein. Eine Kurzsichtigkeit, die uns überhaupt erst diese Lage beschert hat. Was soll ein Verbot zum jetzigen Zeitpunkt bringen? Menschlich kann ich es absolut nachvollziehen und würde ein Verbot ebenfalls begrüßen. Unter demokratischen Gesichtspunkten, der aktuellen Lage der Republik und der Stärke der AfD wäre ein Verbot allerdings ein weiteres Geschenk aller Verteidiger der Demokratie an die AfD.

Man sehe sich die Präsenz der AfD in den sozialen Medien, die breite Zustimmung in allen Bevölkerungsschichten und Altersstufen und nicht zuletzt die finanzstarken Unterstützer an. Was musste sich Jens Spahn anhören, als er für Spenden in Höhe von 9.999 € den Puppenkasper bei einem Abendessen mimen musste. Die AfD konnte bereits im ersten Halbjahr 2023 eine Einzelspende in Höhe von 265.000 € verbuchen. Auch das erlaubt der Partei, weiter zu wachsen. Und die Demokratie findet weiter kein Mittel, das diese Entwicklung aufhalten kann – bis heute.

Jeder Erklärungsversuch endet immer bei den gleichen Forderungen und Ermahnungen. Dabei wird übersehen, dass die Politik der letzten Jahre z.B. durch die ungeklärte Frage der Migration ebenfalls zu einem Erstarken der AfD beigetragen hat. Dieses Eingestehen der eigenen Verantwortung fehlt leider in der Breite aller Parteien. Es wäre der erste Schritt einer ernst gemeinten Aufarbeitung.

Äußerungen wie „härter durchgreifen“ oder „alle Demokraten müssen jetzt zusammenstehen“ sind so inhaltslos und kurzlebig, dass sie nicht mal im politischen Berlin ernstgenommen werden. Seit Jahren werden sie wiederholt und mit einstudierter Entschlossenheit vorgetragen. Am Ende bleiben diese Äußerungen ebenfalls ein Geschenk für die AfD.  

Das Verhalten der politischen Mitstreiter, die wirtschaftlichen Entwicklungen und die Strategie der AfD selbst sorgen für einen wachsenden Rückhalt in der Bevölkerung. Die Partei hat sich ihren jetzigen Erfolg erarbeitet – so bitter es auch ist. Mindestens genau so bitter wird aber auch die Bekämpfung der AfD mit demokratischen Mitteln sein. Das geht nicht bei Lanz, Illner und Co. Das funktioniert auch nicht aus Parteizentralen heraus. Da muss in den sauersten Apfel gebissen und sich vor Ort jeder Situation gestellt werden. Nur so lässt sich kurz- und mittelfristig etwas Boden gut machen, der aus Berlin nur als brauner Sumpf gesehen wird. Wie will man sonst die Leute zurückholen, die genug haben von einer politischen Kultur, die durch moralische Musterlösungen alle Krisen in der Welt lösen möchte, aber es verpasst, die grundlegenden Funktionen im Staat zu gewährleisten? Es sind immer die gleichen Leute, die betroffen in die Kameras schauen, schnelle Taten fordern, ihren eisernen Willen bekräftigen und sich nach zwei Wochen als Experten für die nächste Krise vor die Mikrofone drängen. Und was passiert im Land? Die Preise explodieren. Die Kosten für Lebensmittel, Mieten und Mobilität bringen immer mehr Menschen an ihre Leistungsgrenzen. Es läuft vieles aus dem Ruder. Es gibt unzählige Statistiken, die einen so betroffen machen, dass die natürliche Reaktion eine beschämende Abkehr von der Thematik zur Folge hat. Die Gruppe, die am meisten von Armut in Deutschland bedroht ist, ist die der Erwachsenen mit einem oder mehreren Kindern. Unglaubliche 42,9% gibt das Statistische Bundesamt an. Diese Menschen fühlen sich zu Recht von der Politik im Stich gelassen. Sie haben es satt, immer wieder die gleichen Phrasen zu hören. Und wer kann von diesen Menschen neben Job, Kinderbetreuung und der Organisation des eigenen Lebens verlangen, sich mit der politischen Landschaft auseinanderzusetzen. Da werden Prioritäten gesetzt. Eine Prioritätensetzung dürfen sie auch von der Politik einfordern. Bevor sie sich jedoch auf der Prioritätenliste finden, ist ihnen Mut und Zuversicht längst abhandengekommen.

Genau dort setzt die AfD an und schafft es, zwar mit zum Teil billigsten Mitteln Argumente zu liefern, die Menschen dazu bringen, ihre Positionen zu überdenken – mit Erfolg. Für Alleinerziehende, die Mahnungen ins Haus bekommen, weil sie Rechnungen nicht bezahlen können, sind Ukraine, Israel und Klimaschutz erstmal kein Thema. Das muss es auch nicht. Das ist nicht die Aufgabe der Bürger. Der Alltag gibt die Richtung vor. Wenn dieser von Ablehnung, der allgemeinen schlimmen Stimmung und Überforderung von Seiten der Politik geprägt ist, dann ist klar, dass eine Partei Zuspruch bekommt, die all das in einem Feindbild zusammenfügen kann. „Die da oben“ wird immer mehr zu einem Kampfbegriff, der leider nicht ohne weiteres zu entkräften ist. Da wir ihn schon im Artikel erwähnt haben: Wenn Jens Spahn davon spricht, dass er und sein Ehemann sich bei der Finanzierung eines Millionenobjekts „finanziell strecken“ mussten, dann schaltet auch der letzte „normale“ Bürger ab.

All diese Erklärungen sind seit Jahren bekannt und mir graut es angesichts der Reaktionen auf dieses „Geheimtreffen“ vor dem Superwahljahr 2024. Denn bis dorthin habe ich kaum Zuversicht, dass die Politik es schafft, die Entwicklung aufzuhalten. Genau so wenig bringt meines Erachtens ein Verbot. Allein die Dauer des Verfahrens würde der AfD einen Pluspunkt nach dem anderen bringen. Also was bleibt übrig?

Wir bleiben übrig. Wir müssen es selbst in die Hand nehmen. Wir müssen uns einbringen. Wir müssen das tun, wozu die gewählten Politiker scheinbar nicht im Stande sind. Wir müssen auf unsere Mitmenschen zu gehen. Ins Gespräch kommen. Beim Bäcker, beim Friseur, im Supermarkt, im Kindergarten, in der Schulen – immer und überall. Wir müssen und sollten die Zukunft unseres Landes nicht anhand der Entwicklung der AfD fest machen, sondern an unserer gesamten Gesellschaft. Das „Sommermärchen 2006“, „Du bist Deutschland“, „Wir sind Papst“, „Michael Schumacher ist Weltmeister“ – all diese tollen Momente kommen einem in den Sinn, wenn man an Ereignisse denkt, die von Euphorie, Optimismus und Zufriedenheit geprägt waren. Das scheint alles sehr weit weg. Erst recht an einem kalten, dunklen Januar-Tag. Aber das ist unsere einzige Chance. Wir müssen uns als Gesellschaft wieder die Hand reichen – so banal und lächerlich es auch klingen mag. Wir müssen miteinander reden. Sonst verstärken wir Missverständnisse, Vorurteile und den wohl wieder größer werdenden Graben zwischen Ost und West.

Ich kann natürlich auch verstehen, dass man als Bundespolitiker lokale Treffen, wo einem der politische Gegenwind in Orkanstärke entgegen bläst, meidet. Aber da fällt mir ein wichtiger Satz von meinem alten Chef, Dr. Thomas de Maiziere, Bundesminister a.D., ein: „Wenn diese Leute dann erstmal vor ihnen stehen, dann ist die Sprache auch eine andere.“ Ein Kommentar auf Social Media ist eben keine wirksame Alternative zu einem persönlichen Gespräch. Also: über den eigenen Schatten springen, raus aus der Komfortzone und mit Respekt, Freundlichkeit und Interesse am Gegenüber ins Gespräch gehen. Vom Kanzler bis zum Kommunalpolitiker und von Bürger zu Bürger.

In den USA wird jeder Wahlkampf mit den Worten „The Best Days Are Yet To Come“ geführt. Ein wunderbares Motto, das uns täglich motivieren sollte. Dabei dürfen und sollten wir uns nicht alleine auf die Politik verlassen. Jeder von uns kann einen Unterschied machen. So klein er auch erscheinen mag. Das ist ein langer Weg, aber abnehmen kann uns den keiner. Wenn wir uns besser kennen, die Nöte des anderen verstehen und auch selbst mal etwas geben, dann sehe ich auch für unser Land eine große Zukunft. Eine Zukunft, die dadurch geprägt ist, nicht auszugrenzen und Mauern zu errichten, sondern zu verbinden und gemeinsam neue Ziele zu erreichen. Viele Buzzwords, aber es leuchtet ein. Und dann sind wir auch in der Lage, demokratiefeindliche Kräfte im Zaum zu halten.

Es liegt an uns. Du, ich, unser Nachbar, unsere Kollegen. Lasst uns wehrhaft sein auf eine Art und Weise, wie wir schon einmal eine Mauer überwunden haben und als ein Volk zusammengekommen sind: friedlich, nahbar und von einem unerschütterlichen Optimismus geprägt. Dann wird auch das dunkle Treffen in Potsdam in einigen Jahren als die Zusammenkunft von ein paar rechten Spinnern und Deutschlandhassern als Weckruf für die wehrhaften Demokraten in Erinnerung bleiben. Verbunden mit der Message: Wir sind die Mehrheit!

Antisemitismus in unserem Land – etwas Neues?

Ich wundere mich über den Aufschrei, der in Sachen Judenfeindlichkeit gerade durch unser Land geht. Antisemitismus ist seit Jahren präsent in unserer Gesellschaft. Schon vor 30 Jahren sagte mir ein Übersetzer, mit dem ich zusammenarbeitete, dass in seinem Flur ein Koffer zur Flucht bereitstünde. Er war Jude. Jüdische Freunde, die vor Jahren aus Moskau flohen, erzählten mir im März dieses Jahres dasselbe. Die ganze Familie sei angewiesen, einen gepackten Rucksack griffbereit zu haben. Ich hörte das und staunte. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober war zu diesem Zeitpunkt noch ein halbes Jahr entfernt.

Wenn es heute um Antisemitismus geht, frage ich mich immer wieder: Sind wir Menschen nicht alle gleich? Haben wir nicht alle dieselben Bedürfnisse? Meine Naivität mag mir zum Vorwurf gemacht werden, aber ich möchte einfach nicht begreifen, dass ein Mensch wegen seiner Religion, Hautfarbe oder Herkunft anders behandelt wird als jeder andere Mensch. Bin ich allein mit dieser Ansicht oder gehöre ich zu einer schweigenden Mehrheit, die nicht sichtbar ist?

Seit die Ereignisse im Nahen Osten am 7. Oktober auf nie dagewesene Weise eskalierten, bin ich nicht auf die Straße gegangen und habe mir auch keine Fahne umgehängt. Denn ich tue mich ehrlich schwer damit, für den einen oder anderen Partei zu ergreifen. Eines weiß ich für mich aber ganz klar: Gewalt solle nie Antwort oder Lösung sein.

Das einzige Zeichen, das ich sichtbar trage, ist einen kleine Brosche aus Perlmutt an meinem Mantel, eine Friedenstaube. Meine Freundin aus Bethlehem, eine Christin, hat sie mir geschenkt, als ich das letzte Mal dort zu Besuch war. „Ich mache Dich zu einer Friedensbotschafterin“, sagte sie. Die Brosche erinnert mich jeden Tag daran: Stifte Frieden und fange in Deinem Umfeld an, bei der Familie, den Freunden, den Nachbarn und in Deinem Arbeitsumfeld. Du wirst die Welt nicht ändern, aber im Kleinen kannst Du wirken.

Geben wir einander die Hand und halten wir aus, dass der andere anders denkt. Der andere heißt so, weil er anders ist, hat meine Mutter immer gesagt. Sei neugierig und mach Dir den anderen zum Abenteuer.

In Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“  Alles andere ergibt sich daraus, nicht nur für die staatliche Gewalt, die zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet ist. Das gilt für jeden Menschen, wir alle sollten so handeln, dass wir ein Miteinander in Würde pflegen können.


Friedensstifter in einer aufgebrachten Menge zu sein, kann herausfordernd sein. Es erfordert Mut und das klare Bekenntnis zu Menschenwürde, Nächstenliebe und Gewaltfreiheit. Fangen wir bei uns selbst an. Sprechen wir aus, dass Gewalt nicht tolerierbar ist. Was glauben wir, wofür stehen wir? Manchmal zeigen wir das zum Beispiel, indem wir Kippa tragen oder Kopftuch oder ein kleines Kreuz. Sichtbare Glaubenszeichen sollten in meiner Welt immer auch Zeichen des Friedens sein und zur Versöhnung einladen. Das Tragen einer Kippa als Ausdruck religiöser Zugehörigkeit ist in unserem Land seit Jahren gefährlich. Vor dieser bitteren Realität dürfen wir nicht die Augen verschließen. Teilen wir unsere Sorge um den Frieden und die Versöhnung und treten wir für die Toleranz und Achtung unserer Nächsten ein. Wir haben schon alles an Gesetzen. Wir müssen uns nur dranhalten – und zwar alle. Passen wir aufeinander auf!

Über die Autorin Julia Sebastian

Studium der Kommunikationswissenschaften an der Freien Universität Berlin und an der University of Indiana, Bloomington (USA). Nach ihrer Ausbildung war Julia Sebastian als freie Journalistin tätig, unter anderem für den heutigen Rundfunk Berlin-Brandenburg. Anschließend war sie Pressereferentin der Botschaft der Vereinigten Staaten in Berlin. Seit 2009 ist sie als freie Journalistin und Beraterin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit selbstständig. Für WMP bearbeitet sie vor allem Mandate im Bereich der strategischen Unternehmenskommunikation.

Die Pflicht des 9. Novembers

Der 9. November steht dieses Jahr unter einem besonderen Fokus. Politiker, Vertreter der Zivilgesellschaft sowie Organisationen werden die Wichtigkeit, die Bedeutung des 9. Novembers im Zuge der aktuellen Weltlage hervorheben. Die Verbrechen von damals scheinen seit den Angriffen auf Israel durch die Hamas-Terroristen wieder näher und greifbarer. Auch wenn der Eindruck der letzten Jahre vermuten lässt, dass wir unsere eigene Geschichte mehr und mehr vergessen. Gerade die jüngeren Generationen sehen keine Notwendigkeit mehr, sich damit intensiv auseinanderzusetzen. Was sagen wir ihnen? Der 9. November ist ein Tag zum Trauern? Er ist mehr als das.

Wir haben vor kurzem erst die Bilder in Berlin gesehen. Auf dem erklommenen Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus werden palästinensische Fahnen geschwungen und Parolen gegen Juden und Jüdinnen gebrüllt. Eingriffe der Polizei? Eher an Litfaßsäulen, um Plakate von entführten jüdischen Babys, Frauen und Männern abzureißen. Begründung? Erst Impressumspflicht, dann Sachbeschädigung. Ein kompletter Totalausfall seitens der Berliner Sicherheitskräfte. Aber es gibt anscheinend auch eine Berliner Räson, die wohl im Konflikt mit der Deutschen Staatsräson steht.

Trauern heißt zum einen, den schrecklichen Taten zu gedenken und ihre Bedeutung für nachfolgende Generationen zu betonen. Zum anderen erwächst genau daraus eine Pflicht. Keine Wünsche oder Vorschläge, sondern eine Pflicht. Eine Pflicht, die sich nicht allein in Gesetzen und Verordnungen niederschreiben lässt. Eine Pflicht, die von allen Teilen, die sich unserer Gesellschaft zugehörig fühlen, ein Bewusstsein voraussetzt, das eben keine Anweisungen braucht, wie in bestimmten Situationen zu handeln ist. „Nie wieder ist jetzt“ und andere Bekenntnisse sind wichtig, aber sie müssen gelebt werden. Sie müssen umgesetzt werden. Beschämende Bilder aus allen Teilen der Republik lassen erahnen, dass diese Pflicht nicht in jenem Umfang in unserer Gesellschaft verankert ist, wie sie es eigentlich sein sollte und wir es gedacht haben.  

Also wie umgehen mit einer dunklen Geschichte, der aktuellen Kriegslage und einer Gesellschaft, die ab und zu scheinbar ihren Wertekompass missachtet oder sich leicht zwischen den Polen hin und her schubsen lässt? Mit einem klaren Auftreten, das im Gegensatz zu den bisherigen Bekenntnissen unwiderruflich an ein ganz bestimmtes Verhalten geknüpft ist. Das gilt auch für politische Amtsträger. Beim kleinsten Verstoß, der gegen unsere Werte verstößt, muss gehandelt werden – auch wenn im Nachhinein Konsequenzen drohen. Helmut Schmidt räumte seinen Ministern in der Zeit der RAF-Terrors Befugnisse ein, die „über das Grundgesetz hinausgehen“. Unvergessen ist auch die BILD-Schlagzeile vom 16. September 1977: „Wir besiegen die Terroristen!“

Deutschland ist ein freies Land im Herzen Europas und ein Verteidiger der Demokratie. Deutschland ist keine Spielwiese für Extremisten und Menschenhasser. Eine klare Linie muss gezogen werden: Bis hier hin und nicht weiter. Dazu braucht es aber neben diesem klaren Verständnis eine Bevölkerung, Politiker und öffentliche Personen, die das verkörpern und gegen jeden Widerstand verteidigen können. Sonst ist jede weitere Anteilnahme und Mitgefühlsbekundung überflüssig.

Wir als Gesellschaft sind uns nicht einig. Wir sind alle Bundestrainer, Impfstoffexperten, Klimaexperten und Nahostexperten sowieso. Die Meinungen driften auseinander. Alles darf gesagt werden, aber gleichzeitig auch nicht. Die Vorstellung, wie die Zukunft unseres Landes aussehen soll, liegt in den Gedächtnisschubladen der Menschen. Neben den Urkunden der Bundesjugendspiele und löchrigen Geschichtskenntnissen. Wie wäre es, wenn wir uns ernsthaft darüber Gedanken machen würden, wie wir in Zukunft in Deutschland, in Europa leben wollen? „In jeder Krise liegt auch eine Chance“ – der Klassiker. Nach einem Krisenmarathon der letzten Jahre wäre es doch mal an der Zeit, wenigstens eine Chance zu nutzen.

Vielleicht ist diese Zeit jetzt. Vielleicht finden wir jetzt den Mut, uns alle klar und deutlich zu positionieren und auch den zukünftigen Generationen etwas mitzugeben. Keine klugen Sprüche, sondern Empathie, Menschlichkeit und ein unerschütterlicher Optimismus, der an eine Zukunft glaubt, für die es sich zu kämpfen lohnt. Jeden Tag und überall.

Dann hätten wir etwas erreicht. Dann würden wir aus den schrecklichen Taten lernen und sie mit Würde und Respekt als Warnung und Mahnung für die Zukunft betrachten. Denn die Weltlage zeigt, dass sich von einem auf den anderen Tag vieles, für Betroffene alles, ändern kann. Heute wie damals.

Wir müssen bereit sein, zu helfen und zu handeln. Die Politik, aber auch jeder von uns.
Am 9. November und an jedem anderen Tag.
Das ist unsere Pflicht.

Israel, die Heimat der Tapferen!

Keiner hat wohl klügere Worte gefunden, als John F. Kennedy, der 35. Präsident der USA. Er sagte in einer Rede vor Mitgliedern seiner Demokratischen Partei: „Israel ist ein Kind der Hoffnung und die Heimat der Tapferen. Israel hält den Schild der Demokratie und bewahrt das Schwert der Freiheit. Israel wurde nicht geschaffen, um zu verschwinden – Israel wird fortbestehen und gedeihen …“

Als Israel entstand, gab es dort kein Wasser, keine Rohstoffe, kein Geld, keine Infrastruktur. Es gab Sümpfe, Hitze und Malaria und Feinde rund herum.

Louis Hagen geht in seiner Analyse John F. Kennedys Zitat nach: „Israel wurde nicht geschaffen, um zu verschwinden – Israel wird fortbestehen und gedeihen …“

Inbegriff von Erfindergeist

Nach nur wenigen Jahrzehnten wurde aus dem wüsten Land der Inbegriff von Erfindergeist, Technologie und Innovation, ein High Tech-Land voller unerschöpflicher Ideen. Der USB-Stick wurde in Israel entwickelt, sein Schöpfer ist der Ingenieur Dov Moran aus Haifa. Das weltweit bekannteste System, das autonomes Autofahren unterstützt, kommt aus Israel: Mobileye. Entsalzungsanlagen, mit denen Meerwasser zu Trinkwasser umgewandelt wird; Cherrytomaten, Lasertastatur – alles kommt aus Israel.

Es ist nicht bekannt, was im Gaza-Streifen erfunden wurde und auch nicht bei Israels Nachbarn. Ich glaube, es reicht eine Hand, um es abzuzählen. Die Hamas-Terroristen sind der Inbegriff von Gescheiterten und Erfolglosen. Ihr Hass richtet sich gegen die Erfolgreichen.

Und nie haben wir unsere Ethik und unseren Ursprung vergessen

0,2 Prozent der Weltbevölkerung sind Juden – 20 Prozent aller Nobelpreisträger sind jüdisch.

Bei den Nazis wurden herausragende jüdische Wissenschaftler verfolgt, zur Emigration gezwungen, ermordet. Der deutsch-israelische Historiker Leo Suchavewicz hat in dem Portal wir-juden.com die jüdische Geschichte untersucht. Er schreibt: „Fast 6000 Jahre ist die jüdische Geschichte. Und was für eine. Alle Höhen und Tiefen der Menschheit haben wir in dieser Zeit erlebt. Kriege und Blütezeit, zivilisatorische Fortschritte und Barbarei, Diskriminierung und Bewunderung, Vertreibung und Rückkehr und glorioser Aufbau. Und nie, auch nicht eine Sekunde in diesen Jahrtausenden, haben wir unsere Ethik, unser Zentrum und unseren Ursprung vergessen.“

Gekämpft haben die Juden immer und von Anfang an: gegen die Philister, Aramäer, Makkabäer, Kaaniter. Über hundert Kriege und Schlachten haben Juden in der Antike geführt – siegreich. Selbst die mächtige Armee der Seleukiden wurde vertrieben. Seit dieser Zeit feiern Juden in aller Welt das Lichterfest Chanukkah.

Masada wird nie wieder fallen!

Gegen die damals stärkste Militärmacht der Welt hatten die Juden allerdings keine Chance. Ihr heldenhafter Kampf endete im Jahr 73 nach Christus in der Wüstenfestung Masada, deren Ruinen man noch heute besichtigen kann.

Über ein Jahr stürmten die Römer gegen die Festung – mit einer Übermacht an Soldaten und Waffen. Die letzten jüdischen Überlebenden begingen kollektiven Selbstmord, um nicht in römische Gefangenschaft verschleppt zu werden. „Ein ruhmvoller Tod ist besser als ein Leben im Elend“, sagte Anführer Ben Jair.

Heute schwören die Rekruten in Israel bei ihrer Vereidigung: „Masada wird nie wieder fallen.“ Es ist wichtig, an diesen Schwur zu erinnern. Jetzt, in einer der schwersten Stunden Israels.

Louis Hagen ist seit seinem zwanzigsten Lebensjahr Journalist. Für verschiedene Verlage und Zeitungen war er bereits in Hamburg, München, Frankfurt und Straßburg im Einsatz. 13 Jahre lang war er Mitglied der BILD-Chefredaktion. Seit 2003 ist er als Senior Advisor für die WMP aktiv. Zudem war er Gastdozent für Medienwissenschaften an der Technischen Universität Berlin. Seit 2019 ist er wöchentlicher Kolumnist in BILD.

Ein Ruck-Moment ist unausweichlich

Bayern und Hessen als Scheinwerfer für die nächsten 2 Jahre

Der Tag nach den beiden Landtagswahlen in Bayern und Hessen wird wie gewohnt ablaufen: Die Sieger lassen sich feiern und wischen jede weitere Interpretation des Wahlergebnisses mit dem Hinweis auf ihr starkes Ergebnis vom Tisch, während die Wahlverlierer sich nun wieder zurückziehen, den Wahlkampf analysieren werden, nur um dann wie gewohnt in alter Besetzung weiterzumachen.

Gewohnter Ablauf in gewöhnlichen Zeiten. Doch Deutschland steckt nicht in gewöhnlichen Zeiten. Weder politisch noch wirtschaftlich, und den Erklärungsversuchen einiger Politiker zufolge gesellschaftlich erst recht nicht.

Im Zentrum der Nachlese steht das Ergebnis der aktuellen Regierungsparteien, die in Hessen mehr als zehn Prozent an Zustimmung verloren haben. Mehrheiten sind in weiter Ferne und spiegeln den aktuellen Zustand der Ampel auf Bundesebene wider. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung nimmt weiter zu und persönliche Skandale wie rund um Nancy Faeser tun ihr Übriges. Die Innenministerin erklärte kurz nach den ersten Hochrechnungen, dass es ihr und ihrer Partei nicht gelungen sei, mit den Themen zur Bevölkerung durchzudringen. Sie selbst würde die Verantwortung übernehmen. Fraglich bleibt, welche Konsequenzen, außer die Rückkehr nach Berlin, einer solchen Aussage folgen. Ein weiterer Baustein eines politischen Selbstverständnisses, das bei den Menschen für zunehmende Ablehnung sorgt.

Der Druck auf die Ampel und den Bundeskanzler wächst. Wie umgehen nach einer solchen Niederlage? Selbst wenn Nancy Faeser von sich aus den Platz räumen würde, bleibt die Frage, wer ihr nachfolgen könnte. Parität und Fachkräftemangel in der eigenen Partei sind mehr als nur Sand im Getriebe. Die Ampel wird bei der Bewältigung der aktuellen Krisen und politischen Herausforderungen kaum die Kraft aufbringen können, sich in den nächsten zwei Jahren selbst so zu sanieren, dass Wahldesaster wie in Bayern und Hessen der Vergangenheit angehören. Eher wird es darum gehen, sich zu behaupten, um nach der Legislaturperiode nicht als inhaltsleerer Koalitionspartner dazustehen. Vor allem für die FDP geht es um das nackte politische Überleben. „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“ und Äußerungen wie die Grünen seien ein „Sicherheitsrisiko“ nagen an dem Selbstverständnis und der Glaubwürdigkeit der Liberalen. In der jetzigen Konstellation wird es ihnen kaum gelingen, das letzte Bundestagswahlergebnis zu erreichen. Es droht vielmehr ein erneuter Abgang aus dem Parlament.

Die Ampel befindet sich im Gewitter bestehend aus politischen Herausforderungen, Personaldebatten und der Frage des gesellschaftlichen Klimas.

Der Sieg von Boris Rhein in Hessen hingegen ist Balsam für die Seele der CDU, die zuletzt eher durch die zahnmedizinischen Äußerungen ihres Vorsitzenden aufgefallen ist. Ein ruhiger, optimistischer Landesvater, der ohne Skandale und Ideologie mit den Grünen in fast schon hessischer Tradition regiert. Ein starkes Plus von über 7 Prozent ist jedenfalls nicht auf den Rückenwind aus dem Konrad-Adenauer-Haus zurückzuführen. Es wirkt eher so, als würden die mindestens unglücklichen Äußerungen von Friedrich Merz eine ähnlich überschaubare Strahlkraft besitzen wie das Eigenlob der Ampelparteien. In Bayern geht ebenfalls alles seinen gewohnten Gang. Das für die CSU schlechteste Wahlergebnis seit über 70 Jahren wird einer stabilen Regierungsbildung nicht im Wege stehen und Markus Söder sieht sich in seinem Kurs, seinem Verhalten und seiner Position bestätigt. Für Friedrich Merz ist die Freude über Hessen groß. Für Bayern kann er sich nur kurz freuen, denn Markus Söder wird nun weiter Druck Richtung Berlin ausüben und sich früher oder später mit bayerischer Souveränität an der Frage des Kanzlerkandidaten der Union beteiligen.

Eine Bundesregierung, die nach zwei durchwachsenen Jahren Verluste bei Landtagswahlen einfährt, und eine Opposition, die davon profitiert. So das erste und gewohnte Urteil. Jedoch gibt es bei beiden Wahlen eine Entwicklung, die wohl am stärksten in den kommenden Wahlen sich fortsetzen wird. In Bayern 14,6% und in Hessen sogar 18,4% für die AfD sind eine alarmierende Entwicklung. Gerade vor dem Hintergrund der drei anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im nächsten Jahr. Hier liegt die AfD zum Teil deutlich in Führung. Woran liegt das? Die Bundesregierung hat nach ihrem Wohlfühlstart echte Krisen zu bewältigen und findet sich nun bei der Migrationsdebatte erneut in einem Kompromissmarathon, der nach außen ein Bild von Überforderung, Erschöpfung und fehlender Entschlossenheit zeichnet. Die CDU bringt Vorschläge ein, sucht die Zusammenarbeit und bemüht sich, die Lehren aus 2015 zu ziehen. Diese Bemühungen werden jedoch mit einer verlässlichen Regelmäßigkeit von den Äußerungen ihres Vorsitzenden überschattet. Und die AfD? Sie profitiert von beiden Seiten. Ihr gelingt es, an jedem Vorstoß und jeder Äußerung Kritik zu äußern, die bei den Menschen verfängt. Scheinattentate und kurzfristige Mallorca-Ausflüge zeigen keine negative Wirkung. Die übrigen Parteien sind ratlos und haben neben ihren eigenen Problemen nicht mehr die Kraft, dieser Entwicklung entschieden zu begegnen. Die Floskeln, Aufrufe und Appelle verhallen viel zu schnell und sind nach jahrelanger Wiederholung eher kontraproduktiv. Somit hat die Ampel nun ein weiteres, wachsendes Problem, das schwerer zu lösen sein wird, als die Regierungsstreitigkeiten. Sollte die AfD nächstes Jahr nur annähernd das Ergebnis jetziger Umfragen realisieren können, kann es so für die Ampel nicht weitergehen.

„Whatever it takes“ ist der selbst ausgerufene Maßstab von Olaf Scholz. Doch die hanseatische Gelassenheit wird immer mehr auf die Probe gestellt. Die Leidensgemeinschaft Ampel-Koalition sieht sich bereits zur Halbzeit mit fast leerem Tank einem Bollwerk an Aufgaben gegenüber. Eine klare Vision, wie Deutschland auch nach der nächsten Bundestagswahl aussehen soll gibt es nicht bzw. wird von mindestens einem Koalitionspartner gleich wieder in Frage gestellt. Wie Friedrich Merz und die CDU aus all dem Kapital schlagen will, ist auch noch nicht erkennbar. Genauso wenig erkennbar wie eine einheitliche, abgestimmte Kommunikation der CDU-Führung. Das große Fragezeichen bleibt bei der AfD. Sie wird vermutlich weiter profitieren, weiter zulegen und uns alle vor die Frage stellen, in was für einem Land möchten wir leben und was sind wir bereit, dafür zu tun. Eine gesellschaftliche Mammutaufgabe.

Politisch braucht es ein neuen Ruck-Moment. Die Parallelen zur Rede von Bundespräsident Roman Herzog von 1997 und dem jetzigen Zustand liegen auf der Hand. „Ein Gefühl der Lähmung liegt über unserer Gesellschaft“ ist auch 2023 eine treffende Analyse. Diese Lähmung zu lindern, dem Land neuen Auftrieb zu verschaffen und die Menschen dabei nicht zu verlieren ist der Anspruch an die Politik und all ihrer Akteure. Nach Bayern und Hessen mehr denn je.

KI – gut, dass es dich gibt!

Die Studenten Philip von Fallois und Marian Golovco berichten, wie sie Künstliche Intelligenz im Alltag erleben.

Man kann es sich kaum noch vorstellen: Ein Leben ohne Künstliche Intelligenz. So sehen viele junge Menschen diese neue Technologie, die sie bereits täglich nutzen. Diese Überzeugung teilt auch Arbeitsminister Hubertus Heil. Er geht davon aus, dass ab dem Jahr 2035 kein Arbeitsplatz mehr ohne KI-Anwendungen existieren wird. Und doch sind sich viele über das Ausmaß von KI noch nicht bewusst. Vielleicht ist ein Blick in die Vergangenheit, statt in die Zukunft aussagekräftiger. Denn was damals neu war, ist heute Standard.

Blicken wir auf das Auto. Wilhelm II., der letzte deutsche Kaiser, sagte einst: „Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd.“ Welch ein Irrtum! Autos haben seitdem ihren Platz im modernen Alltag gesichert, wie es kein anderes Transportmittel je könnte. Wir sind uns sicher, dass mit KI eine ähnliche, wenn nicht noch größere Revolution unseres Lebens begonnen hat.  

Doch welche Auswirkungen hat dies auf uns? Sind wir bereit, unsere Arbeit in die Hände nicht-menschlicher Systeme zu legen? Wir glauben, dass dies weniger eine Frage des „Könnens“ als vielmehr des „Müssens“ ist. 

Italien hat ChatGPT gesperrt und ist daran gescheitert. Man musste einsehen, dass das Leben sich ständig weiterentwickelt und man sich nicht gegen technischen Fortschritt wehren sollte. Dies erinnert an vergangene Entwicklungen wie das Radio, das Fernsehen oder das Internet, die zu ihren Anfangszeiten ebenfalls belächelt oder verspottet wurden. 2007 wurde das iPhone veröffentlicht. Und damit das Zeitalter der Smartphones eingeläutet. Der bis dahin erfolgreichste Mobiltelefonhersteller Nokia verkaufte noch 2007 mehr als 435 Millionen Telefone. Und verkannte doch das Potenzial der neuen Entwicklung. Die technologische Überlegenheit der Konkurrenz ließ die finnischen Pioniere von einst schnell in Vergessenheit geraten.  

Längst hat sich die KI in unseren Alltag geschlichen. Doch wie sieht so ein KI-Alltag in der Praxis wirklich aus? 

Schon am Morgen geht es los. Eine Schlaf-App weckt mithilfe von KI genau dann, sobald sie die leichteste Schlafphase erkennt. Schon fällt das Aufstehen weniger schwer. Sofort lassen sich Statistiken mit einer detaillierten Analyse der Schlafqualität der letzten Nacht ansehen. Es folgen personalisierte Vorschläge für Maßnahmen, die den Schlaf verbessern könnten.  

In der Uni steht die Arbeit an Interviewfragen zu einer Hausarbeit an. Kein Problem für die KI, die ein hervorragender Ideengeber ist. Die Aufgabe ist in einigen Sekunden statt mehreren Minuten erledigt. Die Schrift auf Bildern aus der Vorlesung wird automatisch erkannt. Der Text lässt sich bequem in die eigenen Notizen einfügen. Die aufgezeichneten Interviews verwandeln sich per Knopfdruck in Text – dank KI-Tool. Auch die Recherchearbeit ist so leicht wie noch nie. Wird die KI nach einem bestimmten Thema gefragt, liefert sie direkt eine Zusammenfassung aus verschiedensten Quellen, inklusive Quellenangabe.  

Aufgrund der gesparten Zeit bleibt noch Gelegenheit für die Bewerbung auf eine Praktikumsstelle. Doch es fehlt noch ein geeignetes Bewerbungsfoto im Lebenslauf. Anstatt zum nächsten Fotostudio zu laufen, lässt sich das Handy nach Bildern mit dem eigenen Gesicht durchsuchen. Das geht dank Gesichtserkennung innerhalb von Sekunden. Die Bilder werden anschließend in ein weiteres KI-Tool eingesetzt. Es verwandelt Freizeitbilder in professionelle Porträts und Fotos wie aus dem Studio – ohne eins betreten zu müssen. 

Auf dem Nachhauseweg stören zwei parkende Autos das Bild von einem Blumenbeet vor einem historischen Gebäude. Doch die Autos sind mit einem Wisch am Handy leicht entfernt. Nach Hinzufügen eines Filters, der dem Bild das Antlitz des Impressionismus verleiht, könnte das Foto schon von Monet persönlich aus dem 19. Jahrhundert stammen. KI lässt grüßen.

Zuhause stellt sich schon die nächste Herausforderung. Der Kühlschrank ist fast leer, was nun? Basierend auf den verfügbaren Zutaten schlägt die KI Rezeptideen vor. Die KI berücksichtigt dabei nicht nur Vorlieben und Allergien, sondern auch aktuelle Ernährungsziele. Es klappt. Wahnsinn! Und am Ende des Tages hilft KI-generierte Musik auch noch beim Einschlafen.

Als Student scheint ein Alltag ohne KI kaum kaum noch vorstellbar. Langwierige Texte von Professoren werden im Handumdrehen auf die essenziellen Stichpunkte zusammengefasst und die Befürchtung, nicht den richtigen Ansatz für einen Text zu finden, gehört der Vergangenheit an. Künstliche Intelligenz ist längst zu einem unverzichtbaren Werkzeug und Ideengeber geworden. Natürlich sind das Gedanken aus meiner „studentischen“ Perspektive. Der Verlust von Arbeitsplätzen, ungeklärte ethische Fragen und die umfassende Nutzung persönlicher Daten sind nur einige der vielen kritischen Folgen von KI. Jede dieser Bedenken verdient Beachtung: Niemand weiß, wie viele Arbeitsplätze verloren gehen, wie viel menschliche Arbeitsleistung überflüssig werden wird, weil KIs schneller und präziser sind. Jedoch ist der „KI-Boom“ nicht zu leugnen. Wir sollten uns deshalb darauf konzentrieren, zu akzeptieren, wie KI unsere Welt verändert und Strategien entwickeln, um verantwortungsvoll damit umzugehen. Die ablehnende Haltung gegen den technologischen Fortschritt wird sich als zwecklos erweisen. Es ist Zeit, sich der Realität zu stellen und die Chancen zu ergreifen, die uns moderne Technologie bietet.  

KI – gut, dass es dich gibt!

Bürokratiemonster Deutschland: Jetzt trifft es die Senioren    

Ein Kommentar von Matthias Schau

Wenn von Bürokratieabbau die Rede ist, denkt man zuerst an Behörden und Firmen, was auch richtig und einleuchtend ist. Merkwürdigerweise wird aber meistens eine Gruppe in der medialen Berichterstattung außer Acht gelassen, ich meine unsere Senioren, die auf eine Bank in ihrer Nähe und persönliche Beratung angewiesen sind. 

Meine Schwiegermutter erfreut sich im Alter von 91 Jahren relativ guter Gesundheit. Sowohl geistig, sie hat vor einigen Jahren den Umgang mit dem iPhone gelernt, wie auch körperlich. Sie ist zwar bei Spaziergängen auf einen Rollator angewiesen, aber sie lebt allein in ihrer Wohnung im ersten Stock und kann sich selbst versorgen. Sie fährt auf den Wochenmarkt zum Einkaufen, zum Supermarkt und auch zu den diversen Arztterminen in Schleswig. Früher auch zur Sparkasse. Die hat aber seit einiger Zeit die Filiale geschlossen, es gibt nur noch einen SB-Bereich mit Kontoauszugsdrucker und Geldautomaten. Doch die vertrauten Bankmitarbeiter, an die man sich wenden konnte, sind leider nur noch ein Servicetraum aus vergangenen Zeiten. 

Bei ihrem letzten Besuch im SB-Bereich der Sparkasse druckte sie Kontoauszüge und kam mit einem anderen Bankkunden ins Gespräch. Sie nahm die Kontoauszüge mit, vergaß aber beim Plaudern die EC-Karte, was sie erst später bemerkte, als sie beim Edeka an der Kasse ihren Einkauf bezahlen wollte. Große Verzweiflung, was ist zu tun? Dank meiner Frau, die ebenfalls über Bankvollmacht für ihr Konto verfügt, wurde die EC-Karte sofort gesperrt und eine neue in Auftrag gegeben. Allerdings erst, nachdem die im Anschreiben genannte Nummer für einen Kundenberater sich als eine Hotline herausstellte. Die lange Wartezeit, die sie benötigte, um einen Mitarbeiter zu erreichen – enervierend.

Nach einigen Tagen kommt die neue EC-Karte mit einem Anschreiben und den Bedingungen für die Sparkassencard-Girocard. Das Bedingungswerk auf 13 kleinbedruckten DIN-A4-Seiten. Erneute Ratlosigkeit bei der Schwiegermutter, ich verstehe das Schreiben und die Bedingungen nicht, was muss ich tun, um die Karte einfach wieder zu nutzen? Meine Frau erklärt, du legst das Bedingungswerk zu den Akten und wartest auf die Geheimzahl, damit du wieder einkaufen und Geld abheben kannst. 

Einige Tage später kommt Post mit der neuen Geheimzahl wieder mit einem langen Anschreiben und Transaktionsnummern für das Onlinebanking. Erneute Aufregung und Unverständnis. Im Anschreiben steht die Bank muss angerufen werden, um die Geheimzahl mit der Bank abzustimmen. Wieder ein längeres Telefonat zur Beruhigung und Erläuterung, wie sie das neue Schreiben einzuordnen hat und der explizite Hinweis, nie die Geheimzahl zu kommunizieren, auch nicht mit der eigenen Bank! Meine Frau erklärt meiner Schwiegermutter, die Geheimzahl musst du dir neu merken, die Transaktionsnummern musst du nicht nutzen, weil ich das Onlinebanking für dich erledige.

Für die Bank ist der Verlust oder die Sperrung von EC-Karten Routine und die juristisch einwandfreien Bedingungswerke, die dem Kunden zugeschickt werden – müssen fraglos rechtlich einwandfrei sein. Doch für meine Schwiegermutter bedeutet Post von der Sparkasse deshalb zunächst immer Hilflosigkeit, wenn die Anschreiben und Bedingungen im Juristendeutsch im Briefkasten auftauchen.

Das Handeln von Banken ist einerseits nachvollziehbar, der Kostendruck im Wettbewerb und neue Gewohnheiten – vor allem junger Bankkunden im Umgang mit Smartphone und Laptop beim Onlinebanking – zwingen zum Handeln. Filialen mit zwei bis drei Mitarbeitern sind auf dem Land, aber inzwischen selbst in der Stadt oftmals einfach nicht mehr rentabel. Die Folge sind massenweise Schließungen von Bankfilialen und zunehmend selbst von SB-Bankstellen, die inzwischen beliebte Anlaufstelle für Bankräuber und Vandalismus geworden sind.

Die vertraute Bankfiliale. In vielen Städten immer seltener – auch bei den Sparkassen.

Laut der Deutschen Bundesbank verringerte sich die Anzahl der Zweigstellen von Kreditbanken im Jahre 2021 um 1.279 auf 5.199. Dies entspricht einem Rückgang von 23,9 % – im Vorjahr waren es sogar 26,9 %. Auch im Sparkassenbereich (einschließlich Landesbanken) kam es zu einem Abbau von 617 Filialen.

Für die Sparkassen gilt aber eine Besonderheit, sie sind verpflichtet, einen gesetzlichen gemeinnützigen Auftrag zu erfüllen. Das unterscheidet sie bewusst von anderen Banken. Das soll trotz des wirtschaftlichen Drucks eine persönliche und direkte Betreuung der Kunden garantieren, insbesondere für Senioren. Denn die gehören ja zu den treuesten Bankkunden und haben zum Erfolg der Sparkassen maßgeblich beigetragen.

Die Wirklichkeit sieht jedoch auch bei den Sparkassen leider anders aus. Alte Menschen, die nicht mit einem Laptop umgehen können oder mit dem Smartphone sicher vertraut sind, bleiben auf der Strecke und nur noch ein überfälliger Kostenfaktor.

Ich finde, Sparkassen sollten Konzepte entwickeln, wie sie eine Bankversorgung für ihre Senioren sicherstellen. Aus meiner Jugend kenne ich noch den „Sparkassenbus“, der über die Lande fuhr, mit Bankberater und Kasse. So ein Bus ist heute teilweise wieder in Deutschland im Einsatz, nun aber mit einem SB-Bereich. Wie resümierte jüngst Matthias Niederberger in der NZZ so treffend: Im Jahr 2023 sind Internet und die reale Welt derart miteinander verschmolzen, dass, wer sich dem Internet verweigert, von der Bildfläche zu verschwinden droht. Oder wie meine Schwiegermutter, die zwar ihr iPhone gut beherrscht, aber beim Bedingungswerk für die Girocard und den Hotlines kapitulieren muss.

Helfen kann so schwer sein – Erfahrungen aus Uganda

Die Cottbuser Abiturientin Chiara Kelch über ihre Zeit als Volunteer

Das Foto, das Sie hier sehen, erzählt eine ganze Geschichte. Ein Selfie, das ich auf der Straße vor der St. Joseph Primary School Mbarara in Uganda gemacht habe. Es zeigt mich inmitten von Schülern und Schülerinnen. Alle lachen, alle sind fröhlich. Dass alle Kinder Glatzen haben, hat einen einfachen Grund, Sie sollen so vor Läusen geschützt werden. Ich war für acht Monate Volunteer in Uganda. Das Foto entstand in den ersten Wochen meiner Zeit dort. Ich sollte für die britische Organisation St. Francis Family Helper überwiegend im Patenprogramm für Waisenkindern helfen.

Mein Freiwilligendienst in Uganda dauerte insgesamt acht Monate und gab mir die Möglichkeit, eine einzigartige Erfahrung zu erleben. Ich wusste, dass es in Uganda nicht so sein wird, wie hier in Deutschland, natürlich. Und trotzdem war ich von vielen Sachen überrascht. Wenn ich heute über Uganda nachdenke, denke ich an ein wunderschönes Land: voller Berge, mit viel Wasser und noch mehr grünen Wäldern. Ich habe dort den schönsten Sonnenuntergang meines Lebens gesehen. Ich habe Obst gegessen, das es nur dort gibt: die Bananen sind süß und cremig, die Ananas war besonders süß, weil sie frisch geerntet wurden, und die Passionsfrüchte waren so lecker, dass ich daraus Marmelade kochen musste. Ich hatte die Gelegenheit, äußerst herzliche und gastfreundliche Menschen kennenzulernen, die mir ihr Land mit offenen Armen zeigten. Diese Begegnungen erweiterten mein Verständnis für andere Kulturen und bereicherten meine Sichtweise.

Manchmal kann aber auch ein Freiwilligendienst im Ausland ohne die Unterstützung eines gewohnten sozialen Umfelds sehr schwierig sein. Ich fühlte mich sehr oft einsam und fehl am Platz. Ich habe mir viel Mühe gegeben, mit anderen in Kontakt zu treten. Doch es ist schwerer als man denkt, man kommt zwar schnell an Handynummern, aber meistens sind es eher Smalltalks. In die Tiefe gehen Gespräche eher selten. Man wird schnell in eine Schublade gesteckt, der reiche naive Muzungu (Menschen europäischer Abstammung), der die Welt verbessern möchte, ohne mit den Leuten in Kontakt zu treten.

Wie kompliziert wir Deutschen manchmal denken, merkte ich bei einer Sache besonders. Ich saß mit Ugandern zusammen. Wir tauschten uns aus, lachten viel und bemerkten trotz Unterschieden auch ein paar Gemeinsamkeiten. Eine junge Frau fragte mich, ob sie mein Haar anfassen dürfte, da es blond ist und wie sie sagten geschmeidig. Ich war und bin noch immer sehr beeindruckt von ihren Braids, das sind Flechtfrisuren wie sie unterschiedlicher und schöner nicht hätten sein können. Sie fragten mich, wieso ich so etwas nicht hätte, da ich ja immer davon schwärme. Ich erklärte ihnen, dass es in Deutschland als Kulturelle Aneignung gesehen wird und ich das deshalb nicht machen dürfe. Das verstanden sie nicht. Für sie ist es mehr als nur eine Flechtfrisur. Für sie bedeutet es Zusammengehörigkeit und Freiheit. Braids brauchen ihre Zeit und das ist die Zeit, die sich die Frauen nehmen dürfen und auf die sie auch beharren.

Wir sprachen aber auch über das Thema sexuelle Belästigung. Denn, eine der schwierigsten Erfahrungen, die ich gemacht habe, war die sexuelle Belästigung und der Stellenwert der Frau. Leider handelt es sich in manchen Situationen um ein ernstes Problem, und es erfordert Mut und Entschlossenheit, öffentlich darüber zu reden. Tatsächlich verging nicht ein Tag, an dem ich nicht belästigt wurde. Die Männer versuchten mich zu küssen, betatschten mich und verfolgten mich. Dabei wollte ich nur meine Ruhe und Sicherheit haben. Ein Nein haben sie nicht verstanden. Obwohl es eine unangenehme Erfahrung war, hat sie mein Bewusstsein geschärft und mir das Problem klar gemacht. Auch die ugandischen Frauen erzählten mir von ihren Erfahrungen mit Männern – sie kannten es nicht anders.

Es ist interessant zu sehen, dass es in diesem Land immer noch Spuren von Kolonialismus gibt, sei es in der Bildung, der Politik oder der sozialen Struktur. Die Leute wollen und könnten mehr aus sich machen, doch sie identifizieren sich nicht als Bürger und Bürgerinnen ihres Landes. Diese dort gewonnen Erkenntnisse haben mir geholfen zu verstehen, wie wichtig es ist, die Folgen der Kolonialisierung zu erkennen und so gut es geht solche Länder bei der Unabhängigkeit zu unterstützen. Denn auch die Menschen in Uganda wollen unabhängiger leben und aus ihren alten Strukturen herauszubrechen.

Uganda hat mir sehr Vieles beigebracht. Es ist nicht nur wichtig zu lernen, wie die Strukturen funktionieren und eine andere Kultur aussieht. Sondern es geht auch darum wie man Menschen, die dort leben, unterstützen kann, um die Hilfe zu bekommen, die sie auch wollen. Und möglicherweise den ein oder anderen Denkanstoß zu geben. Ich habe aber auch sehr viel über mich gelernt. Ich habe zum Beispiel gelernt, Dinge zu schätzen, die ich früher für selbstverständlich gehalten habe. Die einfachen Freuden des Lebens, wie man immer so schön sagt. Dazu gehört nicht nur sauberes Wasser, sichere Unterkünfte und gute Bildungschancen, sondern auch Straßenlicht, deutsches Brot und die deutsche Pünktlichkeit. Sie sind für mich zu einem kostbaren Gut geworden. Es war eine sehr lehrreiche Zeit in Uganda, aber auch eine sehr Schwierige. Helfen kann so schwer sein.